Die Liebe des Kartographen: Roman
murmelte unentwegt Gebete vor sich hin, von denen das meiste in Tränen unterging. Dazwischen bellte der Hund, als wolle er alle davonjagen.
Merkten die Leute denn nicht, dass sie mit ihrer Angst und Aufregung alles noch schlimmer für die Frau machten? »Ruhe jetzt! Seid doch still, verdammt noch mal!« Xelia schaute einen nach dem andern an. Ich kenne noch nicht einmal ihre Namen, schoss es ihr durch den Kopf.Aber das war jetzt unwichtig. »Ich bin Heilerin und werde versuchen, der Frau â¦Â«
»Ellen! Sie heiÃt Ellen!«
Xelia nickte. »Ich werde Ellen helfen. Als Erstes müssen wir sie vorsichtig in einen Wagen bringen. Ihr Männer da! Nehmt sie vorsichtig hoch, ja, so istâs gut.«
Der Hund folgte Ellen auf dem FuÃ.
Xelia versuchte, ein zuversichtliches Gesicht zu machen. »Wer gehört zu ihr?«
»Ich!« Ein kleiner, aber kräftiger Mann schaute aus dem gröÃten der drei Wagen. Er war es, der gebetet und die Hand der Frau gehalten hatte, als die andern sie hineintrugen. »Tassilo heiÃâ ich. Du musst ihr helfen!« Er schluchzte hemmungslos. »Ellen ist nicht mehr die Jüngste, und das Kinderkriegen war schon immer eine Qual für sie. Beim letzten Mal wärâ sie fast draufgegangen, das Kind hat auch nicht überlebt! Wenn ihr was passiert ⦠ich tätâs nicht überstehen!«
Bei seinen Worten spürte Xelia die nackte Angst in sich hochsteigen. Ich kann das nicht! , wollte sie zu dem Mann sagen. Ich habe Angst! Stattdessen legte sie ihre Hand auf seinen Arm und drückte ihn. »Es wird schon werden! Aber ihr müsst mir alle helfen!« Sie legte so viel Stärke wie möglich in ihre Stimme. »Der Wagen muss geheizt werden. Und ein Feuer zum Wasserkochen brauchen wir auch. Und Licht! Bringt alle Ãlfunzeln, die ihr habt. Und dann brauchâ ich noch jemanden, der mir hilft.« Sie suchte nach dem am wenigsten erschrockenen Gesicht in der Runde, und ihr Blick blieb auf einem jungen Mädchen mit rabenschwarzen Haaren haften. »Du da! Du wirst mir helfen.«
»Wir haben kein Wasser mehr«, antwortete es.
»Dann besorgt welches! Oder sammelt Schnee und schmelzt ihn.« Xelia krempelte ihre Ãrmel hoch und rieb sich die Hände mit Schnee ab, bis sie rotgefroren, aber sauber waren. Eine Zweilingsgeburt, weit und breit kein Dach überm Kopf, kein Wasser, eine Gebärende, die nichtzum Kinderkriegen gemacht war â und wo war Philip? Sie hätte so dringend etwas Zuspruch von ihm gebraucht! Aber er war nirgendwo zu sehen. Sie verbot sich jeden weiteren Gedanken an ihn. Jeder Augenblick zählte, wenn es nicht schon zu spät war â¦
~ 34 ~
E s war Nacht geworden. Die Spielleute hatten in der Mitte der drei Wagen ein groÃes Feuer entzündet. Während Xelia und die junge Frau bei Ellen im Wagen waren, hatte eine andere Frau eine dicke Suppe gekocht, die sie nun an die Männer verteilte. Xelias Anwesenheit schien die Leute zu beruhigen. Sie saÃen ums Feuer herum und unterhielten sich leise. Manchmal war aus dem Wagen Ellens Wimmern zu hören, dann stockte das Gespräch kurz, doch gleich darauf zwangen sie sich weiterzureden.
Erstaunt stellte Philip fest, dass seine Schüssel leer war. Er hatte die Suppe, in der dicke Brocken Fleisch schwammen, regelrecht hinuntergeschlungen. Gierig tunkte er mit seinem Brot den letzten Rest Flüssigkeit auf, als die Frau ihm einen zweiten Schöpfer hineingab.
Philip dankte ihr und kaute weiter. Auch die andern widmeten sich ihrem Essen, nur hin und wieder schaute einer zu ihm herüber. Die Blicke, die ihn dabei trafen, waren alles andere als freundlich, fand er. Eher misstrauisch, ablehnend.
Ach, er war so wütend auf Xelia! Nicht genug, dass sie unbedingt helfen musste, wo ein Blick auf die Frau genügte, um zu wissen, dass sie dem Tod längst näher war als dem Leben! Das Erste, was sie getan hatte, war, ihren Hut herunterzureiÃen und ihren Mantel abzulegen, um danach ihre Ãrmel hochzukrempeln. Und aus und vorbei warâs mit ihrer Tarnung! Nun würde es nicht mehr lange dauern, bis die Leute neugierig wurden und Fragen stellten. Und dann?
Was würde er antworten?
»Was machen Spielleute eigentlich um diese Jahreszeithier droben auf der Alb?«, fragte Philip seinen Nachbarn. Vielleicht war es das Beste, wenn er ihnen zuvorkam!
Der Mann schaute ihn an. Er zuckte mit den Schultern.
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