Die Liebe des Kartographen: Roman
Daraufhin war ein Pfeifer vorgetreten, hatte ein paar Takte gespielt und zu singen begonnen:
»Das Liebesglück, es solltâ nicht sein,
doch Xelia sah das gar nicht ein.
Für Samuel war sie nur Zeitvertreib,
da wurde sie ein garstig Weib,
Trotz feinem Tuch, trotz vielem Gold
schrie sie ihn an,
ist dir das Glück doch nimmer hold .
Durch einen Prügel den Tod er fand!
Und Xelia hielt ihn in der Hand!«
Jedes Wort hatte Philip noch im Ohr, die Atemlosigkeit der Zuschauer vor Augen und ihre Rufe nach mehr. »Tot ist tot und mehr gibtâs nicht«, hatte der Pfeifer grinsend in die Runde gerufen, seinen Hut genommen und die Heller und Pfennige eingesammelt, welche die Leute schon bereitwillig in den Händen hielten. Nur langsam hatte sich die Menge danach aufgelöst. Ãberall hatten kleine Grüppchen den Faden weitergesponnen. Ob die Gerberstochter wohl schon gefasst worden war? Und wenn nicht, wo die Mörderin sich dann versteckte? Philip hatte das Gefühl gehabt, dass die Geschichte und ihre Beteiligten mit jedem Mal Erzählen grausamer wiedergegeben wurden! Wie betäubt, war er durch die Menge gestolpert und hätte fast den Schmied nicht gegrüÃt, der sich mit zwei anderen Männern darüber stritt, ob nun ein Tod durch den Galgen oder durch das Fallbeil die gerechte Strafe für so eine Hexe sei. Das Funkeln in ihren Augen, als sie von der Belohnung sprachen, die Blaustein auf Xelia ausgesetzt hatte, war Philip durch Mark und Bein gegangen. Wenn der Schmied wüsste, wer unter seinem Dach â¦
Er spürte, wie die Erschöpfung des Tages ihn nun doch einholte, sein Geist langsamer, seine Augen schwer wurden. Sein letzter Gedanke galt Xelia: Sie schwebte, so unschuldig sie war, in Lebensgefahr! Sein Einfall, Xelia als Burschen zu verkleiden und als seinen Knecht auszugeben, war mehr als weise Voraussicht gewesen. Er hatte ihr bisher das Leben gerettet.
~ 33 ~
E s war alles gut gegangen. Beim ersten Tageslicht hatte der Schmied mit seiner Arbeit begonnen. Während Philip einen nach dem anderen von Aloisâ Hufen aufgehalten hatte, war Xelia in der Scheune geblieben. Wenn der Mann sich gewundert hatte, dass Philip selbst und nicht sein Knecht den Handlanger abgab, dann hatte er nichts gesagt. Und von sich aus hatte Philip sowieso keine Unterhaltung angestrebt. Es war fast Mittag gewesen, als der Schmied fertig wurde. Nachdem er ihnen eine horrende Summe für seine Arbeit abgeknöpft hatte, waren sie endlich wieder auf dem Weg gewesen.
Kaum hatten sie Rüdling hinter sich gelassen, wurden sie vom ersten Schnee überrascht. Alois, auf seinen neuen Eisen steif und ungelenk, wurde auf dem rutschigen Boden noch unsicherer und blieb auf einem etwas steileren Wegstück einfach stehen. Mit Xelia als Stütze auf der rechten und Philip auf der linken Seite und nur mit gutem Zureden lieà er sich schlieÃlich zu kleinen Schritten hinreiÃen. Dieser Zockelgang war ermüdender als der schnellste Marsch, und so waren alle drei nach einer Stunde schweiÃgebadet. Aus Angst, der Gaul würde sich erkälten, warf Philip ihm eine Decke über. Vielleicht war es diese kleine Geste, vielleicht war es einfach nur der Umstand, dass er sich an die neuen Eisen und den glatten Untergrund gewöhnt hatte â danach schritt das Pferd ohne weitere Unterbrechung tapfer aus. Wie sie bei diesen Verhältnissen den Albabstieg bewältigen sollten â daran wollte Philip noch nicht einmal denken! Immer wieder spürte er Xelias fragende Blicke auf sich, und es machte ihm Mühe, Zuversicht und Heiterkeit auszustrahlen.
Bald war es Nachmittag, und sie waren viel wenigerweit gekommen, als er ausgerechnet hatte. Philip schätzte die Sichtweite auf weniger als fünfzig Ellen. Kein Grenzstein war unter der dünnen, aber dichten Schneedecke zu erkennen, alles verschwamm grau in grau, und es kam Philip vor, als wate er durch ein endloses Meer. Nirgendwo konnte er eine Scheune oder einen Hof ausmachen. Wo sollten sie die Nacht verbringen?
Während Xelia dem Pferd einige Hand voll Hafer aus dem Proviant verfütterte, nahm Philip seine Karten zur Hand und versuchte zu bestimmen, wo sie sich befanden. Wenn er richtig lag, mussten sie irgendwo zwischen dem Uracher und Zwiefaltener Forst sein. Die Albhochfläche hatten sie noch nicht verlassen, wenn es auf einigen Wegen auch den Anschein gehabt hatte. Das hieÃ, er würde sich
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