Die Liebe des letzten Tycoon
notwendiges Übel, das sie sich nur für einen Film ausgeliehen hatten.
Ridingwood ging mit Stahr zur Bühnentür.
»Alles läuft nach Wunsch«, sagte er. »Im Rahmen des Möglichen spielt sie ordentlich.«
Sie waren jetzt außer Hörweite der Schauspielerin, und Stahr blieb unvermittelt stehen und sah Red an. Er war sichtlich wütend.
»Was Sie da drehen, ist Schund«, sagte er. »Wissen Sie, wie sie mir vorkommt, wenn ich die Muster sehe? Wie Miss Foodstuffs.«
»Ich versuche, so viel wie möglich aus ihr rauszuholen…«
»Kommen Sie mit«, sagte Stahr schroff.
»Soll ich unterbrechen?«
»Lassen Sie alles weiterlaufen.« Stahr stieß die gepolsterte Außentür auf.
Draußen wartete sein Wagen mit Fahrer. Meist war für Stahr jede Minute kostbar.
»Steigen Sie ein«, sagte er.
Jetzt wusste Red, dass es ernst war, wusste plötzlich sogar, was er falsch gemacht hatte. Mit ihrer giftig scharfen Zunge hatte sie ihn gleich am ersten Tag zum Kuschen gebracht. Als friedliebender Mensch hatte er alles laufenlassen, weil er keine Scherereien haben wollte.
[89] In seine Gedanken hinein sagte Stahr: »Sie werden nicht mit ihr fertig. Ich habe Ihnen gesagt, wie ich sie haben wollte – als gemeines Biest. Stattdessen kommt sie nur total gelangweilt rüber. Tut mir leid, aber wir müssen die Sache abblasen, Red.«
»Den Film?«
»Nein. Harley übernimmt.«
»Wenn Sie meinen, Monroe.«
»Bedaure, Red. Wir versuchen es ein andermal miteinander.«
Der Wagen hielt vor Stahrs Büro.
»Soll ich den Take noch zu Ende drehen?«, fragte Red.
»Schon geschehen«, sagte Stahr grimmig. »Harley hat Sie abgelöst.«
»Verdammt noch mal…«
»Er ist zur einen Tür rein, wir sind zur anderen raus. Ich hab ihm gestern Abend das Drehbuch gegeben.«
»Moment mal, Monroe…«
»Ich bin heute sehr ausgelastet, Red«, sagte Stahr knapp. »Sie haben die Sache schon vor drei Tagen vergeigt.«
Schöne Bescherung, dachte Ridingwood. Damit war klar, dass er, ob er wollte oder nicht, den nächsten ihm angebotenen Film machen musste. Damit war klar, dass er ein wenig, ein ganz klein wenig an Status verloren hatte, und wohl auch, dass er sich jetzt nicht, wie vorgesehen, eine dritte Ehe würde leisten können. Ihm blieb nicht einmal die Genugtuung eines lautstarken Krachs. Meinungsverschiedenheiten mit Stahr hängte man nicht an die große Glocke. Stahr war in seiner Welt ein wichtiger Kunde und hatte deshalb immer – fast immer – recht.
[90] »Mein Mantel…«, sagte er plötzlich. »Ich hab ihn am Set über einem Stuhl hängen lassen.«
»Hier ist er«, sagte Stahr. In seinem Bemühen, möglichst mild mit Ridingwoods Fehler umzugehen, hatte er ganz vergessen, dass er den Mantel in der Hand hielt.
*
»Mr. Stahrs Vorführraum« war ein Filmtheater im Kleinformat mit vier Reihen gepolsterter Sitze. Vor der ersten Reihe standen lange Tische mit Lampen, die ein gedämpftes Licht verbreiteten, mit Summern und Telefonen, und an der Wand stand – Relikt aus Stummfilmzeiten – ein Klavier. Der Raum war erst vor einem Jahr frisch tapeziert und die Polster erneuert worden, wirkte aber nach vielen langen Arbeitssitzungen schon wieder recht ramponiert.
Hier saß Stahr um halb drei und noch einmal um halb sieben und ließ sich das im Lauf des Tages gedrehte Filmmaterial vorspielen. Oft war die Stimmung aufgeladen. Stahr hatte es mit faits accomplis zu tun, dem Endergebnis monatelanger Kaufverhandlungen, von Monaten des Planens, Schreibens und Umschreibens, Ausleuchtens, Probierens und Drehens, der Frucht genialer Eingebungen, aber auch dem Resultat heftiger Diskussionen, von Gehässigkeit, Intrigen und Plackerei. Bis zu diesem Punkt war die komplizierte Operation gediehen und nur vorübergehend zum Stillstand gekommen. Was hier einlief, waren Berichte vom Kriegsschauplatz.
Neben Stahr waren die Vertreter aller technischen Abteilungen anwesend sowie die Projekt- und Aufnahmeleiter der betreffenden Filme. Die Regisseure nahmen nicht teil – offiziell, weil ihre Arbeit als abgeschlossen galt, [91] tatsächlich aber, weil man sich hier, wo gutes Geld durch silberne Spulen rann, wenig Zurückhaltung auferlegte. Sie hatten das Wegbleiben zu einer hohen Kunst entwickelt.
Der Stab war schon da. Stahr kam herein und setzte sich rasch. Das Stimmengemurmel erstarb. Während er sich zurücklehnte und ein mageres Bein im Sessel anzog, erlosch das Licht. In der hintersten Reihe flammte zischend ein Streichholz auf – dann Stille.
Vorn auf
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