Die Liebe des Wanderchirurgen
es Euch recht ist, werde ich Lady Nina noch einmal untersuchen, gewissermaßen zur Erhärtung Eures Befunds, und ihr bei der Gelegenheit eine kräftigende Speise geben.«
»Das werdet Ihr nicht«, erwiderte Vitus entschieden. »Das Schwarze Erbrechen kann überall auftreten, auch auf See, wo es keine Stechmücken gibt.«
»Wie das, Sir?«
»Denkt daran, dass Mücken aus Larven schlüpfen und dass eine einzige mitreisende Larve schon genügen kann. Das Schwarze Erbrechen ist so kontagiös wie der Schwarze Tod, allerdings mit einem wenn auch wenig tröstlichen Unterschied: die Überlebensaussichten sind einen Hauch besser. Der Zwerg und ich haben es einmal überlebt und sind deshalb unangreifbar. Nein, nein, Ihr bleibt schön hier unten und pflegt mit mir gemeinsam unsere Patienten.«
»Selbstverständlich, Sir. Aber ich halte es für meine Pflicht, Euch meine Kammer anzubieten. Ich teile sie zwar mit zwei Decksoffizieren, aber sie ist immer noch komfortabler als der Behandlungsraum hier unten.«
»Abgelehnt«, sagte Vitus. Und weil er etwas harsch klang, fügte er noch hinzu: »Aber es ist sehr liebenswürdig von Euch, es mir angeboten zu haben.«
Einen Tag später, am 30 . Juli, hatte der Sturm etwas nachgelassen. Kapitän Steel saß in seiner Kajüte und sprach dem Alkohol zu. Er war am Morgen aufgewacht und hatte wieder sein Aufstoßen gehabt. Nach Einnahme von etwas Natron – jenes segensreichen Pulvers, das er Stonewell verdankte – war ihm wohler gewesen, und das gefüllte Glas mit dem wasserklaren Gin hatte wieder geschmeckt.
Steel trank seit seinem dreizehnten Lebensjahr, seit er als Schiffsjunge mit einem Frachtschiff die Nordsee zwischen Hull im Ostenglischen und Hirtshals im Jütländischen befahren hatte. Er sagte sich immer, wer so lange trank, der konnte mit den Tücken der hochprozentigen Versuchungen umgehen. Deshalb füllte er erneut sein Glas bis zum Rand, rülpste ungeniert, schließlich war er allein in seiner Kajüte, und legte sich noch einmal hin.
Kurz darauf erhob er sich abermals und füllte sich das Glas. Eine Stimme tief in ihm warnte ihn davor, aber er achtete nicht darauf. Schließlich war er Alkohol gewohnt.
Der Alkohol und er waren Freunde.
Vitus hatte eine weniger gute Nacht hinter sich. Da der Sturm die
Camborne
Stunde um Stunde wie einen störrischen Bock stampfen ließ, hatte er kaum ein Auge zugetan. Die bitteren Gedanken über die Untreue Isabellas waren noch hinzugekommen. Er hatte auf dem harten Operationstisch gelegen und sich des heftigen Seegangs wegen an Beinen und Armen festschnallen müssen. Nur gut, dass ihn niemand so gesehen hatte!
Doch die Nacht hatte auch etwas Gutes gehabt: Die Bilder seines Lebens waren an ihm vorbeigezogen, und die Frauen, die er geliebt hatte, noch einmal vor seinem geistigen Auge erschienen. Tirza, das Zigeunermädchen, war die Erste gewesen, die sich ihm hingegeben hatte. Ihre Liebe war von vornherein zum Scheitern verurteilt, denn ihr Lebenskreis war ein gänzlich anderer gewesen als der seine. Er hatte sich von ihr trennen müssen, nicht zuletzt, weil er damals auf der Suche nach seinem Elternhaus war. Wie lange lag das zurück? Zwölf Jahre. Zwölf lange Jahre.
Auf Tirza folgte Arlette, seine über alles geliebte Arlette, seine Cousine sechsten Grades, die er gefunden, verloren und schließlich nach langer Irrfahrt wieder in Habana auf der Insel Kuba wiedergefunden hatte. Der Zwerg und der Magister waren die ganze Zeit an seiner Seite gewesen, unverbrüchlich in ihrer Treue. Der Magister? Nun ja … Arlette hatte sein Kind unter dem Herzen getragen, er hatte sie heiraten wollen, doch der Schwarze Tod hatte sie grausam dahingerafft.
Und dann war da noch die Gebieterin Âmina Efsâneh, die in einem prächtigen Palast in Tanger lebte. Sie hatte ihn mit einem Aphrodisiakum verführt und anschließend in ihrer Launenhaftigkeit unflätig beschimpft: Er hätte sie benutzt wie eine Bodenvase, in die er seinen Stengel hineingestoßen hätte, so waren ihre Worte gewesen. Âmina Efsâneh hatte sich als genauso berechnend und intrigant erwiesen wie Isabella.
Eigenschaften, die Nina, seiner sanften, holden, beständigen Nina, völlig fremd waren. Sie war die Tochter von Carlos Orantes, einem fröhlichen, bauernschlauen, spanischen Landmann, der gleichzeitig Namensgeber für seinen zweitältesten Sohn war. Vitus hatte sie das erste Mal unter einem Baum während eines starken Gewitters geküsst, und als er sie ein
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