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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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kirschgroßes Loch, das wie aus dem Nichts auf seiner Stirn erschien. Steel gab noch einen ächzenden Laut von sich und brach zusammen. Sein mächtiger Leib zuckte.
    Vitus war sofort über ihm, rief ihn an, aber er hätte ebenso gut versuchen können, einen Fels anzusprechen. Steel blieb die Antwort schuldig. Er war tot. Sein mächtiger Leib hatte ein zu gutes Ziel abgegeben.
    Und der Alkohol war nicht sein Freund gewesen.
    Don Pedro klammerte sich an die Querreling und blickte betreten, und auch McQuarrie fehlten kurzzeitig die Worte, doch dann brüllte er wutentbrannt in die Wanten: »Los,
Cambornes,
zahlt es den feigen Hunden heim, schießt sie ab.«
    Doch das war leichter gesagt als getan. Ein gezielter Schuss aus den tanzenden Masten war ebenso schwer abzugeben wie von einem galoppierenden Pferd, und wer dennoch traf, hatte in jedem Fall Fortuna auf seiner Seite.
    Während die Kanonen weiter donnerten und die Arkebusen und Musketen weiter knatterten, zog Vitus mit Don Pedros Hilfe Steels toten Körper in den Schutz des Schanzkleids. Der Kapitän war tot, aber sein Leib sollte nicht weiter zerstört werden. »Don Pedro!«, rief er. »Warum begebt Ihr Euch nicht unter Deck? Es wäre doch mehr als tragisch, wenn Ihr durch eine eigene Kugel fallen würdet.«
    »Wenn Ihr hier ausharren könnt, kann ich es auch!«
    »Wie Ihr meint. Ich hoffe, Ihr werdet mir keine Arbeit machen!« Vitus wandte sich wieder dem Kampfgeschehen zu und sah, wie die
Santa Maria
Backbordruder legte und sich anschickte, vor dem Bug der durch den Verlust des Fockmasts zurückbleibenden
Dreadnought
in die offene See hinauszukreuzen. Sie schwang herum und zeigte an ihrem prächtigen Heck das Kreuz
Sant Jago de Compostela.
    McQuarrie wollte Segelanweisung geben, ihr zu folgen, aber Vitus fiel ihm ins Wort: »Lasst sie ziehen, McQuarrie. Der Kampf ist vorbei. Seht nur, auch die
Triumph,
unser größtes Schiff, dreht wieder ab.«
    In der Tat hatte die
Triumph
unter Martin Frobisher der
Dreadnought
und der
Camborne
zu Hilfe eilen wollen, doch nun schien Frobisher davon abzusehen. Er dippte grüßend die Flagge, ließ halsen und strebte zu Howards Einheiten zurück.
    McQuarrie zögerte. Aber da er es wichtiger fand, den eigenen Kameraden auf der
Dreadnought
zu helfen, als einem ebenfalls arg gezeichneten Feind hinterherzuhetzen, nickte er zustimmend. »Ihr habt recht, Sir.«
    Doch Vitus hörte gar nicht zu. Er beobachtete, wie die Schützen der
Camborne
die letzten Schüsse auf die entschwindende
Santa Maria
abgaben, und sah, wie einer davon die kleine Gestalt auf dem Achterkastell traf. Sie zuckte zusammen, fasste sich an die Seite und fiel.
    Und plötzlich wusste er, wer die kleine Gestalt war.
    Es war der Magister.
    Der Magister, der sich auf die Seite des Feindes geschlagen hatte.
    Ein Umstand, der plötzlich unwichtig war, lächerlich unwichtig.
    Er hatte das Gefühl, als sei er selbst getroffen.
    Er wollte etwas sagen, wollte schreien, wollte die ganze Welt auf das unfassliche Geschehen da vor ihm aufmerksam machen, doch kein Laut drang über seine Lippen.
    McQuarrie sagte: »Ich gehe längsseits zur
Dreadnought,
Sir. Sie hat sicher eine Reihe Schwerverwundeter, die wir übernehmen müssen.«
    »Der Magister«, sagte Vitus tonlos.
    »Wie bitte, Sir?«
    »Der Magister, ich muss ihm helfen.«
    »Sir, ich verstehe immer noch nicht. Ihr meint doch nicht etwa Euren Freund, den Gelehrten der Jurisprudenz?«
    »Ich habe ihn auf der
Santa Maria
gesehen«, sagte Vitus. »Er wurde von einem unserer Schützen getroffen, ich muss ihm helfen.«
    McQuarrie lachte. »Bei allem Respekt, Sir, selbst wenn es stimmt, was Ihr sagt, können wir ihm nicht helfen.«
    Don Pedro mischte sich ein: »Verzeihung, Sir, aber das Leben Eures Freundes – wenn er es tatsächlich war – ist nicht mehr wert als das eines der vielen Verletzten auf der
Dreadnought.
«
    Nein!, wollte Vitus schreien, es ist viel mehr wert, tausendmal mehr wert! Was wisst Ihr denn vom Magister? Habt Ihr mit ihm im Kerker der Inquisition gesessen? Habt Ihr mit ihm Schiffbruch auf dem Westmeer erlitten? Habt Ihr mit ihm barfuß die Wüste durchquert? Nichts von alledem habt Ihr, keine Ahnung habt Ihr! Der Wert eines Menschen ist so unterschiedlich wie die Charaktere, die es gibt!
    »Darüber ließe sich trefflich streiten«, sagte Vitus laut. »Aber ich gebe zu: Dafür ist nicht die Zeit. Wir sollten Beeston die Verwundeten abnehmen, damit er seine Schäden schnellstens klarieren kann.«
    »Das ist

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