Die Liebe des Wanderchirurgen
Vergnügen, Euch die Stelle zu zeigen.«
»Nanu, stehen unsere Schiffe denn vor Brighton?«, fragte Nina.
»Noch nicht«, log Hartford. »Ein Fischer namens Teddy Dunn aus Southwick sagte mir, wenn das Wetter sich bessere, würde die Flotte vorbeikreuzen.«
»Aber die Unseren bekämpfen doch die Armada. Wo ist die denn?«
»Äh, nun.« Mit diesem Einwand hatte Hartford nicht gerechnet, aber er besann sich rasch und sagte: »Die Armada kämpft bei so einem Wetter wie heute auch nicht. Man sieht ja gar nichts.«
Nina legte die Notenblätter zur Seite. »Das stimmt allerdings, dieser Tag ist völlig verregnet. Es ist sehr nett von dir, Hartford, an mich zu denken, aber ich bin nicht sicher, ob sich ein solcher Ausritt für mich lohnt.« Außerdem, so fügte sie in Gedanken hinzu, würde es sich kaum schicken, allein mit einem Diener auszureiten.
»Wenn das Wetter gut ist, will ich mit nach Brighton!«, krähte Carlos. »Ich war noch nie in Brighton, ich will da die Steilküste runterrutschen.«
»Ich will auch mit!«, brüllte Odo. »Aber ich will als Erster dran sein, ich bin älter!«
Die kleine Jean gab glucksende Laute von sich.
Nella sagte nichts. Sie traute Hartford nicht über den Weg. Der Mann war viel zu hochmütig und eingebildet, von dem ging bestimmt nichts Gutes aus.
Nina wehrte ab: »Kinder, so geht das nicht! Ihr könnt nicht einfach für Stunden das Schloss verlassen. Die Woche hat gerade angefangen, und jeden Tag steht für euch Privatunterricht an. Stellt euch vor, Doktor Burns, unser guter, alter Dorfarzt, käme, um euch Latein beizubringen, und ihr wärt einfach nicht da.«
Den auftretenden Protest erstickte sie im Keim, indem sie sagte: »Das ist mein letztes Wort. Außerdem weiß ich wirklich noch nicht, ob aus dieser Idee etwas wird.«
»Verzeihung, Mylady, ich wollte mich nicht aufdrängen. Ich dachte nur, es wäre schön für Euch, die
Camborne
zu sehen und die Gewissheit zu haben, dass Seine Lordschaft in diesem Moment an Bord ist, ja, vielleicht sogar an Deck steht, um Euch zuzuwinken.«
»Oh, daran hatte ich gar nicht gedacht. Haltet Ihr das für möglich?«
»Nun, Mylady, bei klarer Sicht …« Hartford zog ein bedeutungsschwangeres Gesicht und dachte: Nun beiß endlich an! Mehr als die Angel auswerfen kann ich nicht.
In der Tat hatte die Aussicht, Vitus auf diese Weise begegnen zu können, für Nina etwas sehr Reizvolles. Aber irgendetwas hinderte sie noch, einem Ausritt mit Hartford zuzustimmen, und deshalb sagte sie: »Warten wir erst einmal ab, wie das Wetter sich entwickelt. Dann sehen wir weiter.«
»Gewiss, Mylady, natürlich, Mylady«, näselte Hartford und fluchte innerlich.
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Die Zwergentochter Nella
»Ich will an die Küste!«
N ella stand an diesem Morgen früh auf, denn in letzter Zeit ging sie gern zu den Ställen, wo Keith mit seinen Männern die Pferde versorgte. Keith war ein netter Kerl und ihr Freund. Er behandelte sie schon seit längerem nicht mehr wie ein Kind, sondern fast wie eine Erwachsene. Er hatte lustige, abstehende Ohren und ein verschmitztes Gesicht, und Nella war ein bisschen verliebt in ihn. Aber das durfte sie auch sein, weil es keiner wusste und weil sie in drei Monaten schon neun Jahre alt wurde. Odo und Carlos waren noch Kinder – sie nicht.
»Hallo, Keith«, sagte sie möglichst gleichgültig, damit er nicht ahnte, wie es um sie stand. »Kann ich dir bei irgendwas helfen?«
Keith lachte. »Du bist wohl aus dem Bett gefallen, junge Dame?«
»Nein«, sagte Nella ernsthaft. »Kann ich dir nun bei irgendwas helfen oder nicht?«
»Kannst du. Aber warum hast du denn so ein schönes Kleid an? Das ist nicht der richtige Aufzug für die Ställe.«
Darauf fiel Nella nichts Richtiges ein, weil Keith ja nicht wissen durfte, warum sie das schöne Kleid angezogen hatte. Deshalb sagte sie: »Was kann ich denn machen?«
Keith überlegte, dann sagte er: »Watty striegelt gerade den braunen Wallach. Das könntest du übernehmen. Watty soll dir die große Kiste aus dem Gang zu dem Braunen stellen, dann kommst du besser ran.«
»Hm.« Es gefiel Nella gar nicht, dass sie zu Watty gehen sollte. Viel lieber wollte sie bei Keith bleiben. »Kann ich dir nicht helfen?«
»Ich will nur die Hufe von Telemach reinigen. Ich denke, die Hufeisen müssten mal wieder erneuert werden. Der Schmied aus dem Dorf kommt nächste Woche. Aber so lange dürfen wir nicht warten. Pferdehufe müssen regelmäßig an der Ober- und Unterseite gereinigt werden, sonst
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