Die Liebe des Wanderchirurgen
kann die gefährliche Strahlfäule auftreten.«
»Was ist das?« Es interessierte Nella nicht so sehr, was die Strahlfäule war, aber sie wollte bei Keith bleiben, und sie hörte ihm gern zu.
»Wenn der Huf nicht regelmäßig gereinigt und ausgekratzt wird, kann sie auftreten.«
»Erzähl mir davon!«
Keith lachte. »Interessierst du dich auch so sehr fürs Lateinische, wenn Doktor Burns aus dem Dorf kommt und euch Kinder … äh, ich meine, dich und die Kinder unterrichtet?«
»Nein.« Nella runzelte die Stirn. Dann sagte sie altklug: »Latein und Strahlenfäule, das kann man nicht vergleichen.«
Keith lachte noch mehr. »Da hast du wahrhaftig recht!« Dann erzählte er ihr lang und breit von der Krankheit und sagte am Schluss: »Aber wir wollen den Teufel nicht an die Wand malen, Telemach ist gesund, und wenn Ihre Lordschaft, Lady Nina, es möchte, kann sie jederzeit mit ihm ausreiten.«
Das letzte Wort erinnerte Nella an das Gespräch, das Hartford mit Tante Nina geführt hatte und in dem er einen gemeinsamen Ausritt an den Kanal vorgeschlagen hatte. Hartford war ein grässlicher Mann, der nichts so meinte, wie er sagte. Sie sah es ihm am Gesicht an, wenn er log. Und wenn er von einer Stelle gesprochen hatte, von der man einen schönen Blick auf das Wasser hatte, dann log er bestimmt auch. Die Frage war, warum er log. Was wollte er von Tante Nina? Er war nur ein Diener, und Tante Nina war die Herrin. Noch nie hatte er mit ihr ausreiten wollen.
»Woran denkst du, junge Dame?« Keith hob Nellas Kinn mit dem Zeigefinger an und schaute ihr in die Augen. Nella schaute rasch nach unten, damit er nicht sah, dass sie errötete. »Och«, sagte sie. »Tante Nina will vielleicht ausreiten, wenn das Wetter besser ist, und ich würd gern mitreiten. Kann ich dann eins von den Shetlandponys haben, die drüben auf der Koppel sind?«
»Aber natürlich, junge Dame! Du nimmst am besten Shorty, der ist gut zugeritten und lammfromm.«
»Danke, Keith. Du … du bist nett.«
Am Samstag, dem 3 . August, stand die
Camborne
nordöstlich des Firth of Forth. Sie hatte in Kirkcaldy frisches Wasser, Proviant und ausreichend Arzneien an Bord genommen, und Vitus hatte die Gelegenheit genutzt, einen Brief an Nina zu schreiben, in dem er von der erfolgreichen Abwehrschlacht gegen die Armada berichtete, von der Verletzung des Magisters sprach und überdies seiner Hoffnung Ausdruck verlieh, den kleinen Gelehrten zu finden und zu heilen. Er versuchte klarzumachen, wie lächerlich ihm der Zwist mit seinem Freund nach all den Geschehnissen vorkam, aber es gelang ihm nicht. Ebenso wenig vermochte er es, Isabella zu erwähnen. Vielmehr bat er Nina, sich noch einige Zeit bis zu seiner Rückkehr zu gedulden. Ansonsten gehe es ihm gut, er liebe sie und die Kinder über alles und sehne sich mit jedem Tag mehr nach ihr.
Anschließend hatte er einem berittenen Boten den Brief übergeben, und die
Camborne
hatte Kirkcaldy verlassen, um sich wieder auf die Suche nach der
Santa Maria de Visón
zu machen.
Doch auch nordöstlich des Firth of Forth war nichts von ihr zu sehen. Zwar hatte McQuarrie in der Zwischenzeit den einen oder anderen Spanier ausgemacht, der sich nordwärts steuernd dahinschleppte, aber das Schiff des Magisters war nicht dabei gewesen. Es schien, als hätten die Götter der vier Winde die
Santa Maria
für alle Zeiten vom Meer geblasen.
Umso ereignisreicher waren die Tage gewesen, die hinter der
Camborne
lagen: Vitus hatte direkt nach dem Gespräch mit McQuarrie die Mannschaft zusammengerufen und ihr von der Entscheidung berichtet, nicht zurück nach Plymouth zu fahren, sondern die
Santa Maria
zu verfolgen. Wie vorauszusehen, zeigten die Männer sich wenig begeistert, was sich jedoch schnell änderte, als ihnen ein halber Becher Brandy pro Tag versprochen wurde. Darüber hinaus lockte sie ein guter Anteil an der Prise, sollte es gelingen, den Spanier zu kapern.
Kapitän Steel war noch am selben Abend mit allen Ehren der See übergeben worden – selbstverständlich nach einer kurzen, aber weihevollen Andacht, die Vitus abhielt, sowie unter den klagenden Tönen von McQuarries Dudelsack.
Nachdem Steel sein nasses Grab gefunden hatte, waren auch die ersten Toten unter den Kranken ins Meer geglitten. Es handelte sich um die beiden Matrosen mit den schweren inneren Verletzungen und um Creedys Leidensgenossen von der
Moon,
den die Ruhr dahingerafft hatte.
Außer Stonewell, der nach wie vor unter Fieber, Krämpfen und
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