Die Liebe des Wanderchirurgen
gehöre Nina, meiner geliebten Nina.«
»Verfluchter Hund!« Wieder schlug sie ihn, aber da er den Kopf zur Seite riss, traf sie nur sein Ohr. »Du wirst mich lieben, ob du willst oder nicht!« Mit fliegenden Fingern machte sie sich an den Knöpfen seiner Hose zu schaffen.
Fassungslos beobachtete er ihr Tun. Er fühlte sich gedemütigt und entwürdigt. Er war nun endgültig überzeugt, dass der Wahn sie gepackt hatte. Wie sollte er nur aus dieser Lage herauskommen? Er überlegte, ob er schreien sollte, aber schon passierte die nächste Ungeheuerlichkeit: Sie hob ihren Rock bis zur Hüfte.
»Bitte«, sagte er heiser, »bitte nicht.«
Sie beachtete ihn nicht, sondern wollte sich breitbeinig auf ihn setzen.
»Lass das«, keuchte er. »Herrgott noch mal, lass das!«
Sie lachte nur. »Ich will …«
Ein Ausruf der Verblüffung unterbrach ihre Worte: »
Ah, perdón!
Ich, äh, ich wollte nicht stören.« In der Tür stand Don Pedro, der sich anschickte, den Raum sofort wieder zu verlassen.
»Bitte bleibt, Ihr stört nicht!«, rief Vitus gedankenschnell. »Ihr stört beileibe nicht! Meine Frau ist nicht ganz bei sich, müsst Ihr wissen, eine, nun ja, eine Folge des Schwarzen Erbrechens, bitte, geleitet sie wieder in ihre Kammer. Und bindet mich danach los.«
Don Pedro schluckte. Er stand vor einer nie erlebten Situation, doch er ließ sich nichts anmerken und reagierte souverän. »Natürlich, Sir, verlasst Euch auf mich.«
Isabella blickte verstört. Sie schien aus einem Rausch zu erwachen.
Don Pedro trat neben sie und bot ihr den Arm. »Ich darf bitten, Mylady.«
Der 4 . August war ein Sonntag, der Tag des Herrn, und er brachte endlich wieder besseres Wetter. Schon am Morgen hatte die Sonne sich zwischen den Regenwolken der vergangenen Tage gezeigt und sie mit jeder Stunde, die der Tag älter wurde, weiter aufgelöst.
Am späten Vormittag, nach dem Gottesdienst in der alten Schlosskapelle von Greenvale Castle, wagte Hartford einen erneuten Vorstoß. Er fing seine Herrin an der großen Freitreppe ab und verbeugte sich: »Verzeiht, Mylady, aber wäre heute nicht ein wundervoller Tag, die
Camborne
mit seiner Lordschaft an Bord vom Kanalufer aus zu beobachten?«
Nina hatte in der Zwischenzeit ein paarmal an den Vorschlag des Dieners gedacht und fand ihn durchaus reizvoll – obwohl sich ein gemeinsamer Ausritt mit ihm eigentlich nicht schickte. »Meinst du denn, wir hätten Glück und würden die englische Flotte sehen? Manche sagen, sie stünde schon weiter östlich im Kanal.«
»Bestimmt nicht, die Leute reden viel, wenn der Tag lang ist!« Hartford legte alle Überzeugungskraft in seine Worte.
»Nun, vielleicht sollten wir tatsächlich hinreiten.« Nina überlegte, ob sie Keith oder einen anderen Mann aus den Ställen bitten sollte, sie zu begleiten, entschied sich dann aber, es nicht zu tun, da Sonntag war und die Männer sich ihren Ruhetag verdient hatten.
»Ich werde alles vorbereiten, auch einen kleinen Korb mit Essbarem, wenn es Euch recht ist, Mylady!«
»Du denkst an alles, Hartford.«
»Selbstverständlich, verlasst Euch nur auf mich, Mylady.«
Nina ging ins Schloss, um ihre Reitkleidung anzulegen.
Kurz vor der Mittagsstunde ritt sie auf Telemach nach Süden, neben ihr Hartford, der sich von Keith wieder den braunen Wallach hatte geben lassen. Das Wetter war herrlich. Ein warmer Augusttag, den Nina in vollen Zügen genoss. Dazu kam die angenehme Erwartung, am Kanal einen Blick auf die
Camborne
werfen zu können. »Sag mal, Hartford, wie sieht die
Camborne
eigentlich aus? Woran kann ich sie erkennen, wenn sie vorbeikommt?«
»Äh, nun.« Auf diese Frage war Hartford nicht vorbereitet. »Das ist die Schwierigkeit, Mylady. Um ehrlich zu sein, ich weiß es auch nicht genau. Aber wir werden gewiss dem Fischer Teddy Dunn begegnen.«
»Dem aus Southwick?«
»Genau. Besagter Fischer pflegt an schönen Tagen ebenfalls den Blick von
Mary’s Stool
aus zu genießen. Wir werden ihn sicher treffen, und dann kann er uns die
Camborne
zeigen.«
»Mary’s Stool?«
»So wird der Aussichtspunkt genannt.«
Für einen Augenblick kam es Nina seltsam vor, dass ein Fischer am Sonntag zu einem Aussichtspunkt ging, um aufs Meer zu schauen, aber sie dachte nicht weiter darüber nach. Sie freute sich viel zu sehr auf das Wiedersehen – auch wenn es nur sehr einseitig sein würde.
Nach einiger Zeit verspürte sie Durst, und sie fragte Hartford, ob er etwas zu trinken dabei habe.
»Oh,
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