Die Liebe des Wanderchirurgen
Mylady, selbstverständlich! Ich habe eine versiegelte Karaffe mit vorzüglichem Roten einpacken lassen. Wollen wir absitzen? Ich könnte Euch ein Gläschen einschenken!«
Das wollte Nina eigentlich nicht, denn Rotwein zur Mittagszeit, noch dazu an einem so warmen Tag, würde ihr nicht bekommen. Andererseits mochte sie nicht einfach ablehnen, da sich Hartford mit allem viel Mühe gegeben hatte, deshalb sagte sie: »Ich würde gern ein Glas trinken, aber unverdünnt ist mir der Wein zu schwer.«
Hartford schien für einen Augenblick enttäuscht, dann hellte sich sein Gesicht wieder auf. »In zwei Meilen Entfernung gibt es einen kleinen Gasthof mit Brunnen, Mylady,
Hickory Inn
geheißen, dort könnte ich frisches Wasser holen und den Wein verdünnen. Was haltet Ihr davon?«
Nina lächelte. Sie musste zugeben, dass Hartford doch kein so schlechter Begleiter war, wie sie befürchtet hatte, im Gegenteil: Wenn er seinen Hochmut hinter einem Lächeln verbarg, konnte er sogar recht sympathisch sein.
Der Gasthof, den sie bald darauf erreichten, lag unter der schattenspendenden Krone eines prächtigen Hickorybaums, den der erste Besitzer, der ein Seefahrer gewesen war, als unscheinbare Nuss aus dem Osten Amerikas mitgebracht hatte. Hartford und Nina saßen ab, und Nina trat ins Haus, wo sie allerdings niemanden antraf. Vielleicht waren der Wirt und seine Frau noch nicht vom Kirchgang zurück. Deshalb kehrte sie um und setzte sich auf eine Bank unter den Baum, während Hartford sich am Ziehbrunnen hinter dem Haus zu schaffen machte. Es lag lange zurück, dass er Wasser aus einem Brunnen holen musste, deshalb dauerte es etwas länger, und als er endlich den Eimer mit dem kühlen Nass heraufgezogen hatte, spürte er ein menschliches Regen.
Er blickte sich um und entdeckte in einiger Entfernung ein Häuschen, das so aussah, als könne es seinem Bedürfnis dienlich sein. Er nahm den Eimer mit aufs Häuschen und erleichterte sich. Und während er sich erleichterte, hörte er plötzlich ein Wiehern. Das war nichts Ungewöhnliches, schließlich waren die Herrin und er mit Pferden gekommen, aber dieses Wiehern klang anders, als das seines Braunen und auch anders, als das von Telemach.
Nun, das musste nichts bedeuten. Vielleicht hatte er sich auch geirrt. Er verstand nicht viel von Pferden.
Er beendete sein Geschäft, verließ das Häuschen und hörte erneut das Wiehern.
Nun war er doch neugierig geworden. Er hatte bemerkt, dass die Tierlaute aus einer Ansammlung von hohen Sträuchern kamen, die hinter dem Ort der Bedürfnisse lag. Den Eimer in der Hand, ging er zu den Sträuchern, umrundete sie – und hielt verdutzt inne.
Wenn seine Augen ihn nicht täuschten, stand da Nella, die freche Göre, und mit ihr ein Pony, auf das sie beschwörend einsprach.
Ganz offenbar war sie ihm und der Herrin gefolgt – und ganz offenbar wollte sie nicht, dass man sie sah. So ein kleines Biest! Bei dem, was er vorhatte, konnte er keine neugierigen Kinderaugen gebrauchen.
Was sollte er tun? Sollte er auf sie zugehen und ihr befehlen, zurückzureiten? Während er den Gedanken abwog, sah er, wie das Kind ihr Pony an einen starken Zweig band und suchend um sich blickte. Sie prüfte, ob jemand sie beobachtete. Ja, du kleines Biest, dachte Hartford, ich sehe dich, aber du siehst mich nicht, weil ich mich versteckt habe. Was hast du vor? Ah, ich sehe, du bist auch nur ein Mensch und musst mal. Mögest du in dem Häuschen an meinem Mief ersticken! Aber Moment mal, da kommt mir eine fabelhafte Idee …
Hartford wartete, bis Nella die Tür hinter sich geschlossen hatte, und hielt Ausschau nach etwas, das er als Keil benutzen konnte. Er fand es in Form eines toten Asts des Hickorybaums, der ganz in seiner Nähe lag. Er hob ihn auf, schlich sich zu dem Häuschen und schob ihn geräuschlos in den unteren Türspalt. Sein Herz jubelte. Nun saß die freche Göre in der Falle – und würde ihm nicht mehr in die Quere kommen.
Er ging mit dem Eimer zurück zu Nina und sah, dass seine Herrin eingeschlafen war. Er weckte sie vorsichtig, indem er sich räusperte. Sie schlug die Augen auf und wusste im ersten Augenblick nicht, wo sie war. Dann fragte sie: »Warum hat das so lange gedauert, Hartford?«
Hartford überlegte blitzschnell und erkannte, dass in diesem Fall die Wahrheit die beste Antwort sein würde. Er tat verlegen und sagte: »Nun, Mylady, Mrs.Melrose brachte gestern Abend eingelegtes Kraut auf den Tisch, und dem habe ich wohl ein wenig zu sehr
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