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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Unkraut.«
    »Selber altes Unkraut!«
    Sie lachten. Und das Lachen nahm ihnen die Verlegenheit.
    »Weißt du«, sagte der Magister, »wovor ich am meisten Angst hatte damals, bevor ich ging? Ich malte mir aus, ein spanischer Soldat der Invasionsarmee würde nach Greenvale Castle kommen, mich verächtlich von oben bis unten anschauen und mich fragen, warum ich nicht zu den Fahnen meines Vaterlands geeilt sei. Ob ich ein Feigling sei, ein Drückeberger, ein Hasenfuß. Und das wollte ich um alles in der Welt nicht sein.«
    »Das bist du ja auch nicht.«
    »Ich hätte trotzdem mit dir kommen sollen, dann wäre mir viel erspart geblieben. Bevor ich damals ging, habe ich dir auch gesagt, dass von zwei Kontrahenten nicht immer nur einer das Recht auf seiner Seite hat und dass es keinen Ausschließlichkeitsanspruch darauf gibt. Ich sagte, der Allmächtige möge entscheiden, welcher Partei er den Sieg schenkt. Nun, er hat sich entschieden – für England und gegen Spanien.«
    Vitus nickte.
    »Nie hätte ich gedacht, wie viele Intrigen, Bestechungen, lächerliche Eitelkeiten auf dem Offiziersdeck eines spanischen Kriegsschiffs zu Hause sind. Jetzt weiß ich es, denn ich habe eine entsprechende Kammer bewohnt. Ich war der persönliche Schreiber des Capitáns Don Francisco de Marcos, eines hartherzigen Mannes, der nicht den kleinsten Widerspruch duldete. Er war ein humorloser Blaustrumpf, dünkelhaft und dumm. Bei jeder Kleinigkeit ließ er die Peitsche sprechen und spielte innerhalb der Besatzung einen gegen den anderen aus – es war das Einzige, was ihm wirklich Freude bereitete. Alles andere war ihm egal. Sogar der Krieg war für ihn nur insoweit interessant, als er sich durch ihn Reichtum und Beförderung versprach. Und wie er dachten viele. Viel zu viele.«
    »Ist er tot?«
    »Ja, erschlagen von Strandräubern, wie fast alle anderen, die nicht ertrunken sind. Wenn ich mich versündigen wollte, würde ich sagen, Gott sei Dank!«
    »Nicht alle spanischen Schiffsführer sind so wie dieser Don Francisco de Marcos.«
    Der Magister blickte Vitus überrascht an. »Woher willst du das wissen?«
    »Weil dieses englische Schiff von einem der fähigsten und ehrenhaftesten spanischen Offiziere befehligt wird.«
    »Willst du mir einen Bären aufbinden?«
    »Nein, es ist wirklich so.«
    »Und das mitten im Krieg?«
    »Du sagst es.« Vitus erzählte die außergewöhnliche Geschichte von Don Pedro, der als Gefangener an Bord gekommen war und nun als Kapitän die
Camborne
nach England segelte. Als er geendet hatte, sagte der kleine Gelehrte nachdenklich: »Das klingt wie ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht, aber wenn du sagst, dass es so ist, wird es so sein. Jedenfalls gibt es mir ein wenig den Glauben an meine Landsleute zurück. Im Übrigen bin ich ein Mann der Jurisprudenz und allein schon von daher verpflichtet, gerecht zu sein.
Discite iustitiam moniti,
wie es so schön bei Vergil heißt.«
    »Glaub mir, es gibt in jedem Volk und an jedem Ort solche und solche. Denk an die Schlagetots, die euch Wehrlose nach dem Sturm überfallen haben.«
    »Ja, das stimmt.« Der Magister krächzte und räusperte sich.
    »Möchtest du etwas trinken? Ich habe frisches Wasser.«
    »Wasser? Willst du mich vergiften?«
    Vitus lachte. Der Magister war wirklich schon wieder der Alte. Er stand auf und holte zwei Becher mit Brandy. »Prost, altes Unkraut!«
    »Selber altes Unkraut!«
    »Jetzt musst du mir aber erzählen, wie es dir gelang, den Überfall der Strandräuber zu überleben.«
    »Wenn ich bedenke, dass ich zu dem Zeitpunkt noch kaum aufstehen konnte, ist es fast ein Wunder, dass ich überlebt habe. Genau genommen habe ich meine Rettung nur dem heiligen Jakobus zu verdanken.« Der Magister trank noch einen Schluck.
    »Der heilige Jakobus? Meinst du den, nach dem der Jakobsweg benannt wurde? Was hat denn der mit der ganzen Sache zu tun?« Vitus folgte dem Beispiel des kleinen Gelehrten und trank ebenfalls noch einen Schluck.
    »Genau den meine ich. Der heilige Jakobus war aus Holz und schon ziemlich wurmstichig und altersschwach, als ich ihn in La Coruña kennenlernte. Er war die Galionsfigur der
Santa Maria,
die ich dort bestieg, um den Dienst für mein Vaterland aufzunehmen. Weil der heilige Jakobus so altersschwach war, brach er schon bei einem der ersten Stürme im Kanal ab. Wahrscheinlich wollte er die Bekanntschaft von Poseidon machen, vielleicht auch mit einer hübschen Meerjungfrau anbandeln, auf jeden Fall war er spurlos verschwunden.

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