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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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noch?«
    Ein Zucken ging durch das Gesicht des kleinen Gelehrten. Er blinzelte. Dann seufzte er wieder. Und blinzelte nochmals.
    »So hör doch, Magister, ich bin’s, Vitus! Ich hole dich da oben raus! So sag doch etwas!«
    Der Magister gab einen krächzenden Laut von sich und grinste schief. »Unkraut vergeht nicht.«
    Vitus’ Herz machte einen Sprung. Er glaubte, niemals zuvor einen schöneren Satz gehört zu haben. »Warte, ich hole dich!«
    Mit fliegender Hast erklomm er das Deck erneut, eilte zum Bug und stand wenig später über seinem Freund. »Ich fürchte, ich kann nicht …«, krächzte der Magister.
    »Du brauchst gar nichts zu können, überlass nur alles mir«, sagte Vitus froh. Er stieg hinab in das Netz, hielt sich am Bugspriet mit einer Hand fest und zog mit der anderen Hand den kleinen Mann zu sich heran. Obwohl der Magister bis auf die Knochen abgemagert war, fiel es Vitus schwer, mit seiner Last den Weg zurück zu bewältigen, doch die Freude verlieh ihm zusätzliche Kräfte. Auf dem breiten Deck des Vorkastells wollte er seinen Freund auf die Beine stellen, aber es gelang nur halb. Der Magister keuchte: »Bin etwas schwach im Schenkel.«
    »Das macht nichts, ich seile dich ab und dann geht’s zurück zur
Cam …
«
    »Sir!« Vitus wurde unterbrochen. Die Stimme war schrill und voller Angst. Sie gehörte Manoel. »Da hinten am Strand, Sir, Reiter! Es muss die
Lavia
sein, auf die sie’s abgesehen haben!«
    Vitus schaute in die angegebene Richtung und erkannte, dass Manoel recht hatte. Das Wrack wurde von einer Schar Reiter umkreist, von denen einige absaßen und auf das Schiff kletterten.
    »Wenn es mit der
Lavia
so steht wie mit der
Santa Maria,
werden die Herren nicht viel finden«, sagte Vitus grimmig. »Und wenn dem so ist, werden wir es sein, die danach die Ehre haben, sie zu empfangen. Es sind mindestens fünfzehn Mann, nichts wie weg!«
    In großer Eile knüpfte Vitus zwei Schlingen, in die der Magister seine Füße stellen musste, warf das dazugehörige Seil über eine noch stehende Rah und zog an. »Versuche, dich aufrecht zu halten, Magister!« Der kleine Mann hob ab, schwebte in der Luft und wurde Zug um Zug außenbords abgeseilt.
    Vitus folgte in halsbrecherischem Tempo, warf einen Blick zur
Lavia
hinüber und sah, dass sämtliche Reiter wieder aufgesessen waren und auf die
Santa Maria
zuritten. Verdammte Plünderer und Halsabschneider! Es würde wenig nützen, ihnen zu sagen, er sei kein spanischer Admiral, sondern der Earl of Worthing, und es würde noch weniger nützen, sie darum zu bitten, ihnen allen das Leben zu schenken.
    Nein, das Heil lag in der Flucht. Von den Reitern bis zur
Santa Maria
waren es vielleicht noch tausend Yards, von der
Santa Maria
bis zu dem auf der anderen Seite am Strand liegenden Beiboot vielleicht die Hälfte. »Kannst du laufen, Magister?«
    Der kleine Gelehrte schüttelte den Kopf. »Jede Schnecke wäre schneller.«
    »Gut, dann geht es nicht anders.« Vitus nahm den Magister über die Schulter und brüllte: »Los, Männer, folgt mir, auch du, Eduardo, mit deinen Leuten, los, los, kommt alle mit, rennt um euer Leben!«
    Er lief los, ohne sich umzusehen, und fluchte insgeheim über den weichen Sand, in den er bei jedem Schritt einsank. Weiter, weiter! Hinter sich hörte er den stoßweisen Atem der anderen. Manoel überholte ihn. Er schien schnelle Beine zu haben. »Ja, lauf voraus zum Boot!«, keuchte Vitus. »Sie sollen schießen … uns die Bande vom Leib halten!«
    Weiter, weiter! Sein Puls raste, seine Brust drohte zu zerspringen. Der Magister schien einen Körper aus Blei zu haben. Weiter, weiter!
    »Sie kommen näher!«, schrie hinter ihm jemand.
    »Hilfe, Hilfe!«
    »Lauft, verflucht noch mal, lauft!«
    Er wurde langsamer, seine Kraft reichte einfach nicht. Er musste aufgeben.
    Er wollte nicht aufgeben.
    Niemals!
    Schüsse krachten plötzlich. Eine Stimme schrie: »Köpfe runter!« Es war Chocks Stimme.
    Er riss die Augen auf. Das Beiboot erschien wie im Nebel vor ihm. Mündungsblitze stachen ihm in die Augen. Er mobilisierte die letzten Kräfte. Noch fünfzig Schritte, noch dreißig, noch zehn …
    Irgendjemand nahm ihm den Magister ab und hob ihn ins Boot. Er taumelte hinterher. Noch mehr Schüsse. Rufe. Pferdegetrappel in unmittelbarer Nähe.
    »Pullt, Jungs, pullt!«
    Er lag auf einer Ducht und sah Chock und Muddy, die beide mit aller Kraft ruderten.
    Schüsse fielen. Manoel, Diego, Huck und Ted feuerten auf die Reiter. Sie standen am

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