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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Fortan fuhren wir ohne Galionsfigur, aber jedes Mal, wenn ich in den Garten musste, fiel mir die Bruchstelle auf. Einige, die bei der Gelegenheit neben mir hockten, meinten, es brächte Unglück, dass der heilige Mann nun nicht mehr am Bug voranpilgerte, und wenn ich ehrlich bin, ging es mir auch ein wenig so. Aber du weißt, dass ich von Haus aus optimistisch bin, und deshalb machte ich mir keine weiteren Gedanken. Das erste Mal jedoch zweifelte ich, als ich den Schuss in die Hüfte bekam, ich …«
    »Das war beim Kampf mit unserem Schiff. Einer unserer Musketenschützen traf dich, ich sah, wie du zusammenbrachst. Es war, als wäre ich selbst getroffen worden. Seitdem ist die
Camborne
hinter der
Santa Maria
her. Ich wollte dich unbedingt einholen und deine Wunde verarzten. Und wie du siehst, ist es mir gelungen.«
    Der Magister blinzelte. »Die ganze Zeit bist du hinter mir her? Beim Blute Christi, ich wusste gar nicht, dass du so hartnäckig sein kannst! Spätestens jetzt weiß ich, dass du mir mein Fortgehen nicht mehr krummnimmst.«
    Um die neuerlich aufkommende Verlegenheit zu überbrücken, fragte Vitus: »Und wie ging es nun weiter mit dem heiligen Jakobus?«
    »Das zweite Mal zweifelte ich an meinem Optimismus, als der Sturm uns hier an die Küste warf, und das dritte Mal, als die Strandräuber kamen. Es war ein bunt zusammengewürfelter Haufen, man sah, dass die Kerle sich von überall her zusammengerottet hatten. Sie waren mit allen nur erdenklichen Waffen ausgerüstet, vom guten Militärdegen bis hin zur gemeinen Mistgabel, aber in ihrer aller Augen stand nur eines: Mordlust und Gier. Es war in den Abendstunden. Wie die Ameisen krabbelten sie auf das Schiff, und ich überlegte verzweifelt, wo ich mich verstecken könnte. Es schien aussichtslos. Die Schandbuben durchsuchten auch den kleinsten Winkel, ihren habsüchtigen Augen entging nichts, sie schienen das Ganze nicht zum ersten Mal zu machen. Ich floh vor ihnen von Kammer zu Kammer, von Deck zu Deck. Die Situation wurde immer kitzliger, zumal ich kaum noch laufen konnte. Ich befand mich mittlerweile im Vorschiff, und da fiel mir,
Deo gratias,
der heilige Jakobus ein, der seinen Platz schon im Kanal verlassen hatte. Ich beschloss, an seiner statt dem Schiff voranzupilgern, kletterte über den Galion nach vorn, kroch unter den Bugspriet, machte mich lang und hielt mich an einigen gespannten Seilen fest.«
    »Donnerwetter, darauf wäre ich nicht gekommen.« In Vitus’ Worten schwang Bewunderung mit. »Du warst sehr klug.«
    »Ich war der heilige Jakobus. Und ich überlebte als Einziger, denn niemand von den Schlagetots merkte, dass ich nicht aus Holz war. Irgendwann, als die Hunde fort waren, fehlte mir die Kraft, mich weiter zu halten. Ich musste loslassen und fiel in das Netz unter dem Bugspriet.« Der Magister blinzelte kurzsichtig.
    »Und dabei hast du wieder einmal deine Berylle verloren.«
    »Die habe ich schon viel früher verloren. Ein Windstoß blies mir das Gestell von der Nase.«
    »Wir werden dir in Worthing neue Gläser machen lassen.«
    »Endlich wieder besser sehen! Das ist Musik in meinen Ohren.«
    »Noch ist es nicht so weit. Erst einmal schläfst du.«
    »Aber ich …«
    »Keine Widerrede, oder willst du einen neuen Streit vom Zaun brechen?«
    »Da sei Gott vor!«
    »Na siehst du.« Vitus zog dem Magister die Bettdecke bis zum Hals und verließ den Raum.
    Er war glücklich.

[home]
    Der Magister García
    »Ich sehe sowieso nichts. Alles, was weiter als drei Schritte entfernt ist, erscheint mir nur als Nebel. Aber wenn du gestattest, bleibe ich bei meinem Optimismus und sage: Was von Süden auf uns zukommt, dürfte kaum zur Armada gehören.«
    A m 21 . August lag die
Camborne
noch immer in der Donegal-Bucht, weil ein steifer Westwind sie dort festnagelte. Sie zerrte an ihren Ankertauen, schwoite im Wind und kam nicht vom Fleck.
    Gegen Mittag erschien der Magister auf dem Hauptdeck, hielt die Nase in die frische Brise und blinzelte zu der zerstört am Strand liegenden
Santa Maria
hinüber. Vitus, der ihn vom Kommandantendeck aus gesehen hatte, kam den Niedergang herunter und trat neben ihn. »Ich wusste gar nicht, dass der Patient schon aufstehen darf?«
    »Wo ist denn hier ein Patient?« Der Magister blickte sich um und spielte den Unwissenden. »Falls du mich meinst, der Kratzer ist schon so gut wie verheilt. Wann geht es denn endlich ab in Richtung Heimat?«
    »Hast du eben ›Heimat‹ gesagt?«
    »Hab ich.« Der kleine Gelehrte

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