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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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grinste. »Ich meinte damit Greenvale Castle. Ich sehe mich schon wieder bei Nina am Klavichord stehen und spanische Wiegenlieder trällern.«
    Vitus stand die Freude im Gesicht. Es war klar, dass der Magister seine Worte mit Absicht gewählt hatte; sie entsprachen seinem Wunsch, alles möge wieder so werden wie früher – ein Wunsch, der sich mit Vitus’ Hoffnungen deckte. »Wir brauchen nördlichen oder östlichen Wind, sonst kommen wir nicht aus der Bucht heraus.«
    »Das hat Fancisco de Marcos, der schurkische Capitán, vor ein paar Tagen auch gesagt.«
    »War er wirklich so schlimm?«
    »Ja, das war er, mein Alter.« Die Augen des Magisters umwölkten sich, er zeigte auf die
Santa Maria.
»Ich bin mit hohen Erwartungen und besten Absichten an Bord gegangen, aber schon nach einem oder zwei Tagen wäre ich am liebsten wieder an Land gesprungen. Doch da waren wir schon auf See. Wegen meiner Kurzsichtigkeit machte mich der Capitán zu seinem Schreiber, zu etwas anderem taugte ich ja nicht. Es dauerte nicht lange, da erkannte ich anhand der Papiere, dass der Capitán die Mannschaften nach Strich und Faden betrog. Er hatte Staatsgelder für Proviant und Ausrüstung erhalten, sie aber in die eigene Tasche fließen lassen. Entsprechend schmal waren Kost und Ausstattung. Die Matrosen und die Seesoldaten versuchten trotzdem, das Beste daraus zu machen, und wie du erlebt hast, schlugen sie sich wacker im Kampf. Weil es aber an allen Ecken und Enden fehlte, hatte sogar der ›Schlachter‹ kaum Medikamente. Aus den Büchern ging hervor, dass keine fiebersenkende Rinde, keine purgierende Arznei, keine schmerzlindernde Droge, ja nicht einmal Pulver oder Tinkturen gegen Hautflechten und Ekzeme an Bord waren. Dafür war der Schlachter immer schnell mit dem Skalpell zur Hand. Wer zögerte, seine zweifelhaften Dienste anzunehmen, dem sagte er:
›Quae medicamenta non sanant, ferum sanat.‹
Als ob das Messer alles heilen könne.«
    »Das ist kaum zu glauben.«
    »Und doch war es so. Und wie immer, wenn Versorgung und Ausrüstung schlecht sind, kam es zu der einen oder anderen Disziplinlosigkeit, was wiederum gnadenloses Auspeitschen zur Folge hatte.«
    »Wo du gerade davon sprichst: Stimmt es eigentlich, dass die Armada ganze Schiffe voller Geißeln mit sich führte, um die ketzerischen blonden englischen Frauen zu züchtigen?«
    Der Magister winkte ab. »Gerüchte, mehr nicht.«
    »Und was ist mit den Ammen, die für die erschlagenen Mütter einspringen sollten? Was ist mit den Folterinstrumenten, die mitgeführt wurden, um Geständnisse zu erpressen, den Gluteisen, um Häretiker auf der Stirn zu brandmarken, den Hanfstricken, um hartnäckige Sünder aufzuknüpfen?«
    »Gerüchte, Klatsch, Parolen! Dafür hatten wir drei eifernde Priester an Bord. Äußerst unangenehme Zeitgenossen, die zu allen möglichen und unmöglichen Zeiten zur Messe am Hauptmast riefen. Nicht einmal der Capitán mochte etwas dagegen sagen, weil Unsere Majestät in Madrid ja so sehr katholisch ist. Du weißt, ich habe nichts gegen ein frommes Gebet und glaube auch an meinen Schöpfer, aber diese bigotte Heuchelei war unerträglich.«
    »Das kann ich mir vorstellen.«
    »Die ärmsten Kreaturen an Bord aber waren die Pferde. Sie standen an Deck in engen Verschlägen und wurden verrückt vor Angst, wenn die See hochging und sie hin und her warf, wenn es blitzte und donnerte oder wenn zerfetzte Segel ihnen die Sicht nahmen. Sie brachen sich buchstäblich Hals und Bein und mussten während der Unwetter über Bord geworfen werden. Viele von ihnen lebten noch, und jene, die noch lebten, ersoffen jämmerlich.«
    »Wir haben welche gesehen, treibend im Meer, sie wiesen uns bei Schottland den Kurs nach Westen und gaben uns die Sicherheit, den richtigen Weg eingeschlagen zu haben.«
    »Das könnten unsere gewesen sein.« Der Magister seufzte. »So waren die armen Viecher doch noch zu etwas nütze.«
    »Ja, sie haben ihr Scherflein dazu beigetragen, dass wir beide wieder zusammen sind. Und weil das so ist, hast du jetzt wieder jemanden, der auf dich aufpasst und dir sagt, dass es höchste Zeit ist, das Krankenbett aufzusuchen.«
    »Ich bin nicht krank.«
    »Ob jemand krank ist oder nicht, entscheidet der Arzt. Und der sagt: ab ins Bett!«
    »Ja, doch. Kaum hat man sich wiedergefunden, wird man auch schon drangsaliert. Du bist wirklich unverbesserlich!«
    »Ebenso, ebenso.«
     
     
     
    Am Abend bestand der Magister darauf, am gemeinsamen Essen in Steels Kajüte

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