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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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lehnte sich enttäuscht zurück. Dass es darauf hinauslaufen würde, hätte er sich denken können. »Wie lange, äh, würdet Ihr denn für Eure Überlegungen brauchen?«
    Wieder grinste Vitus. »Bis ich die Suppe aufgegessen habe, Sir.«
    »Ah, ja. Natürlich.« Howard fragte sich, ob die Antwort ein Scherz sein sollte, ob sie positiv oder negativ zu bewerten sei, ob sie überhaupt etwas zu bedeuten hatte. Aber die Ungewissheit sollte ihn nicht lange plagen, denn die Suppe war mittlerweile lauwarm, und der junge Earl aß sehr schnell. Dann schob er den Teller zur Seite, legte den Löffel sorgfältig hinein und sagte: »Ich brauche eine Woche.«
    »Äh, Sir?«
    »Wenn ich es recht sehe, schreiben wir heute den siebten Mai. Ich werde einige Verpflichtungen absagen und schon am Nachmittag nach Greenvale Castle aufbrechen, übermorgen früh dort ankommen und mich anschließend um den Gutsbetrieb kümmern, was jetzt im Frühjahr sicher mehrere Tage in Anspruch nehmen wird. Wenn alles erledigt ist, will ich nach Portsmouth reiten und an Bord gehen. Doch vor dem vierzehnten werde ich es kaum schaffen. Wäre Euch damit gedient?«
    »Sir, ich …!« Howard war aufgesprungen. »Ich danke Euch!« Er packte Vitus’ Rechte und drückte sie, als wolle er Most aus ihr herauspressen. »Auch im Namen Ihrer Majestät! Auch im Namen Ihrer Majestät!«
    »Nichts zu danken, Sir.«
    »Ich werde sofort einen Kurier mit der entsprechenden Order zu Taggart schicken. Der wird Augen machen!«
    »Gewiss, Sir. Haltet mir die Daumen, dass Lady Nina genauso viel Verständnis für die Notwendigkeit dieser, äh, Segelpartie aufbringt wie ich.«
    »Mein Wort darauf. Daran soll es nicht scheitern!« Howard lachte befreit.
    Walsingham hatte unterdessen Mufflin, den Bücherwurm, losgejagt, damit er abermals Alkoholisches herbeischaffe. Als das Gewünschte kam, rief er: »Ich denke, dass wir mit einem guten steifen englischen Gin auf das Unterfangen anstoßen.« Er stand auf, erhob sein Glas, und seine beiden Gäste taten es ihm gleich. »Auf die Königin und auf das glückhafte Gelingen Eurer Mission, Cirurgicus!
Cheers!
«
    Die Herren tranken, verschnauften, ließen nachschenken und setzten sich. Howard war so beschwingt, dass er dabei versehentlich die
Elizabeth Bonaventure
streifte. Das hübsche Modell schwankte und fiel scheppernd zu Boden.
    »Großer Gott!«, rief Howard.
    Auch Vitus blickte betreten.
    Walsingham war der Erste, der sich von dem Schreck erholte. »Hoppla«, lachte er, »wie gut, dass wir nicht abergläubisch sind!«

[home]
    Die Schlossherrin Lady Nina
    »Nun reite schon. Lass uns allein. Du bist ja durch nichts aufzuhalten, willst dich nicht einmal von deinen Söhnen verabschieden.«
    V
illancicos de diversos Autores
stand auf der Titelseite des kleinen Notenhefts, das Lady Nina aufgeschlagen und in den hölzernen Deckel ihres Klavichords gestellt hatte.
Villancicos
waren Melodien, die ihre Wurzeln in den Weisen des spanischen Landvolks hatten, und Nina liebte sie, weil sie selbst ein Kind des Volks war. Sie stammte aus dem Norden der Iberischen Halbinsel, aus der Nähe des Klosters Campodios in der Sierra de la Demanda.
    Aber nicht nur deshalb hatte sie an diesem Vormittag die alten Noten hervorgeholt, sondern auch, weil unter ihnen einige Kinderlieder waren, die sie ihrem jüngst geborenen Töchterchen, der kleinen Jean, vorspielen wollte. Die sanften Melodien sollten ihr süße Träume schenken, und das beruhigende Grün der Pflanzen im Kleinen Salon des Schlosses sollte das seinige dazu beitragen.
    Begleitet wurde Nina dabei von ihren Söhnen, dem sechsjährigen Odo, der die Gambe spielte, und von Carlos, der erst viereinhalb Jahre zählte, aber schon recht artig die Laute zupfte.
    Der einzige Mann in der Runde war ein etwa vierzigjähriger Freund der Familie, Ramiro García, ein Studierter der Jurisprudenz, der von aller Welt »Magister« gerufen wurde. Der Magister war eine bemerkenswerte Erscheinung. Er hatte das, was man einen Gelehrtenkopf nennt, mit hoher Stirn und krauser Mähne, einen Kopf, der nicht recht zu dem übrigen, eher kleinen Körper passen wollte. Seine Gesichtszüge wirkten klug und klar. Die freundlichen Augen, in denen nicht selten der Schalk saß, blinzelten häufig, denn er war stark kurzsichtig. Diesen Mangel versuchte er durch zwei dicke Berylle auszugleichen, die er mit Hilfe eines Nasengestells trug.
    Der letzte Ton des Wiegenlieds verklang, Nina nahm die Hände von den Tasten des Klavichords.

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