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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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»Warum hast du nicht mitgesungen, Magister?«, fragte sie. »Du singst doch sonst so gern?«
    Der Magister, der neben dem Kinderbettchen saß und es behutsam hin und her wiegte, hielt inne und antwortete mit seiner überraschend dunklen Stimme: »Ich singe zwar gern, aber ich singe nicht gut. Dieser Erkenntnis muss ich mich beugen. Der eine reitet die Noten, der andere die Paragraphen, dabei soll’s bleiben.«
    »So düster kenne ich dich gar nicht, Magister.«
    »Wie heißt es doch so schön: Schuster, bleib bei deinem Leisten! Oder, damit die jungen Herren gleich etwas lernen:
Ne sutor supra crepidam.
«
    »Leisten, was für’n Leisten?«, krähte Carlos und legte die Laute beiseite.
    »Das sagt man so«, erklärte Odo altklug. »Der Magister hat’s heute Morgen schon mal gesagt, da wollte er sich einen Knopf an die Hose nähen, weil Nella grad nicht da war. Die war in der Küche und musste Mrs.Melrose beim Mandelkäse helfen. Und neulich hat er’s auch gesagt, als er sich mit dem Hammer auf den Daumen gehauen hat. Ich glaub, man muss es dauernd sagen, wenn man erwachsen ist.«
    »Pst«, machte Nina und legte den Zeigefinger auf die Lippen. »Euer Schwesterchen schläft, ihr wollt doch nicht, dass es wach wird.«
    »Nee, wolln wir nich!«, krähte Carlos mit unverminderter Lautstärke.
    »Silencium!«,
gebot der Magister. Er hielt die Wiege an und erhob sich. »Ich will dann mal. Muss noch ein paar Dinge in Worte fassen. Catfield hat mich in einer Verwaltungssache um juristischen Rat gebeten. Hoffentlich hat er damit nicht den Bock zum Gärtner gemacht, ich kenne mich nach wie vor besser im spanischen Recht aus als im englischen. Schuster, bleib bei deinem Leisten.«
    »Schon wieder«, rief Odo triumphierend. »Er hat es schon wieder gesagt!«
    Der Magister lächelte flüchtig. »Diesmal aber mit Absicht, du Schlauberger.« Er fuhr dem Jungen durchs Haar. Es war blond und lockig wie das seines Vaters, und bildete damit einen starken Gegensatz zu Carlos’ pechschwarzen Haaren, der diese von seiner Mutter geerbt hatte. »Wir sehen uns bei der Mittagsspeise im Grünen Salon.« In der Tür stieß er mit einem Zwerg zusammen, der die Ärmchen in die Hüften gestemmt hatte und mit fistelnder Stimme rief: »Glatten Schein un kronig Jamm, ihr Notenquäler. Nu, wie strömt’s?«
    »Es geht uns gut, Enano. Wir haben gerade musiziert«, antwortete Nina, die sich nicht im mindesten über die seltsame Ausdrucksweise des Winzlings zu wundern schien. Es war ein kauziges Rotwelsch, dessen er sich bediente, »das Gebrabbel der Wolkenschieber und Zitronenschleifer«, wie er zu sagen pflegte, und wer länger mit ihm zusammen war, der konnte das meiste sogar verstehen.
    Der Magister klopfte dem Zwerg auf die Schulter, murmelte einen Gruß und verschwand.
    »Hatte grad ’nen knäbbigen Aufstoß!«, fistelte der Zwerg.
    »Einen knäbbigen Aufstoß? Heißt das, es ist jemand gekommen?« Nina nahm Jean vorsichtig aus der Wiege, weil sie ihr die Brust geben wollte. Den Vorschlag der älteren Mägde, dafür doch standesgemäß eine Amme zu nehmen, hatte sie strikt abgelehnt. Jean war ihr Kind, und es sollte mit ihrer Milch aufwachsen – genauso wie Carlos und Odo zuvor.
    »Wui, wui.« Enanos Fischmündchen stülpte sich bei jedem »W« vor.
    »Wer ist es denn?«
    »Der Örl.«
    »Was, Vitus? Der wollte doch erst in der nächsten Woche wiederkommen?« Nina legte Jean zurück in die Wiege und war froh, dass die Kleine einen so festen Schlaf hatte. »Odo, Carlos, lauft und begrüßt euren Vater, sagt ihm, Jean und ich wären im Kleinen Salon, und du, Enano, eile in die Küche und sage Mrs.Melrose, Mylord wäre zurück, sie möge ein Besteck mehr auflegen.«
    »Wui, wui, Örlin. Will’s meiner Bratwachtel schon stecken.« Der Zwerg kehrte Nina den buckligen Rücken zu und verschwand mit flinken Hüpfern.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Kurz darauf hielt ein strahlender Vitus die kleine Jean in den Armen und versuchte gleichzeitig, seine Frau zu küssen. Der Versuch misslang, weil die Kleine so zappelte. »Liebste, ich kann es noch immer kaum fassen, dass wir seit einigen Monaten ein kleines Mädchen haben. Ist sie nicht süß? Ist sie nicht goldig? Ist sie nicht herzallerliebst?«
    Nina, die das alles selbst wusste, lächelte. »Ja, das ist sie, und Nella hat gestern gesagt, sie würde dir ähnlich sehen.«
    »Nella?«
    »Ja, Enanos Tochter. Du hast sie länger nicht gesehen, weil sie sich ständig in den Ställen herumtreibt,

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