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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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nicht nur die Herrschaften Kapaun aßen, sondern auch sie selbst. Sie – und der bucklige Zwerg an ihrer Seite, den sie vergötterte. Warum sie allerdings einen Wicht mit mondgesichtigem Kopf und fassähnlichem Buckel in einem Gewand von aufdringlich hellblauer Farbe liebte, das war ihr großes Geheimnis. Seine Tochter Nella jedenfalls, die er aus fernen Landen mitgebracht hatte und die eigentlich gar nicht seine Tochter war, liebte sie nicht. Weshalb diese auch grundsätzlich nichts von den Extrarationen abbekam – ein Umstand, der dazu führte, dass der Zwerg seine Portion oft an Nella abtrat. Was wiederum die Köchin nicht wusste. Ebenso wie sie nicht ahnte, dass der Winzling ihre Gefühle keineswegs erwiderte und, was ihr Verhältnis anbetraf, nur mit der Wurst nach dem Schinken warf. Oder, wie er es ausgedrückt hätte, »mit’m Längling nach der Sehnsucht schmiss«.
    Neben diesem auf so unterschiedliche Weise verbundenen Trio aßen die Küchenmägde Mary und Molly, mehrere Bedienstete und der Gärtner mit seinem Gehilfen von der dampfenden Kohlsuppe, wobei jeder, so schnell er konnte, seinen Löffel in die große Gemeinschaftsschüssel tauchte. Wer bei Mrs.Melrose nicht rasch genug aß, drohte mit leerem Magen wieder aufzustehen.
    Neben der großen Schüssel stand ein Rest des Mandelkäses, den Mrs.Melrose großzügig der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt hatte. Es handelte sich um ein Kunstwerk, das aus passierten Mandeln, Wasser, Rosenwasser, Safran sowie einem Stück nicht zu scharfem, geschnetzeltem Kuhmilchkäse zubereitet wurde. Das Rezept, das sie wie ihren Augapfel hütete, hatte ihr vor Jahrzehnten ein Küchenmeister der Dominikaner verraten.
    »Na, wie viel von dem Mandelkäse hast du denn selbst schon gefressen?«, fragte Pat, der Gehilfe des Gärtners, den eine innige Feindschaft mit Mrs.Melrose verband.
    »Halt den Mund, Rotzlöffel!«, rief Mrs.Melrose, die solche Unverschämtheiten schon kannte. »Sollst froh sein, dass du in diesen Zeiten satt zu essen hast.«
    »Satt zu essen? Hörte ich da satt zu essen? Schau mich an, bin dünn wie ein Spargel. Und wer ist die fetteste Schnecke am Tisch?«
    Das Gesinde lachte, einschließlich des Zwergs und Nellas. Das erboste Mrs.Melrose noch mehr. »Hollister, sag deinem vorlauten Handlanger, er soll die Klappe halten. Wenn Pat mich noch einmal beleidigt, wird sein Maul nie wieder essen. Jedenfalls nicht in meiner Küche. Dafür will ich sorgen!«
    »Reg dich nicht auf, Catherine«, sagte Hollister, der Gärtner. »Es ist bekannt, dass du den Satz ›Selber essen macht fett‹ recht wörtlich nimmst.«
    »Alles, was ich zubereite, ist mit dem Herzen gemacht und in erster Linie für Mylord und seine Familie bestimmt. Es ist furchtbar, dass mir niemand von der vorzeitigen Rückkehr des gnädigen Herrn berichtet hat. Wie gern hätte ich ihm Hechtklößchen mit Meerrettichsauce oder eine Kaninchenpastete zubereitet! Und nun musste es bei ein paar Kapaunen bleiben.«
    »Von denen du dir mindestens zwei einverleibt hast.« Pat ließ nicht locker.
    »Was weißt denn du! Mr.Catfield, der Verwalter, muss schließlich auch essen, und Keith, der Stallmeister, ebenso.«
    Pat stand auf, weil Hollister sich ebenfalls erhoben hatte. Im Fortgehen sagte er: »Wir alle müssen essen, aber du stets am meisten, und das stört uns.«
    Auch die Mägde und die Bediensteten standen auf, denn in Mrs.Melroses Augen kündigten sich Blitz und Donner an. Es war besser, die Entladungen nicht abzuwarten und sich flink an seine Arbeit zu machen.
    Nur der Zwerg und seine Tochter Nella blieben bei ihr. Nella wollte sich noch ein kleines Stück von dem Mandelkäse nehmen, aber Mrs.Melrose ging dazwischen. »Du hast genug! Der Rest ist für morgen! Als ich so alt war wie du, habe ich niemals nachgenommen.«
    »Blausinn!« Der Winzling, der die Köchin normalerweise nicht ernst nahm, wurde ärgerlich. Wenn es um Nella ging, verstand er keinen Spaß. Er hatte sie vor acht Jahren, als im Oberitalienischen die Pest umging, zusammen mit Vitus und dem Magister vor dem Schwarzen Tod gerettet und anschließend mit Ziegenmilch hochgepäppelt. Er liebte sie auf seine eigene Art, stets keck im Wort und doch irgendwie scheu. Sogar christlich taufen hatte er sie lassen, obwohl er mit »dem grandigen Machöffel« da oben nicht viel am Hut hatte. »Lass den Streichling in Ruh! Jeder pickt, so viel er stechen kann.«
    Mrs.Melrose stutzte. Es kam selten vor, dass der Zwerg so wütend dreinblickte.

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