Die Liebe des Wanderchirurgen
Aber die Küche war ihr Reich, und wer etwas essen durfte, das hatte nur sie zu bestimmen. Außerdem war sie eifersüchtig auf Nella. »Der Mandelkäse ist noch für morgen. Nella, untersteh dich, davon zu nehmen! Stell ihn weg in den Brotkasten.«
Nachdem sie sich dergestalt durchgesetzt hatte, strich sie dem Zwerg über die rotborstigen Haare, und ihr Ton wurde schmeichlerisch: »Ich muss mit dem Kuchen haushalten. Das verstehst du doch sicher, mein kleiner Prinz?«
»Schäl den Mondschein.«
»Na, na, du sollst doch nicht immer so mit mir sprechen. Was willst du mir damit sagen?«
»Wui, wui, Frau Bratwachtel.« Enanos Fischmündchen lächelte. Aber es war ein kaltes Lächeln, und in seinen Augen stand Bosheit.
»Dann bin ich beruhigt.« Immerhin wusste Mrs.Melrose, dass »Wui, wui« aus dem Französischen kam und »Ja, ja« bedeutete. Ohne auf Nella zu achten, drückte sie den Winzling wie eine Puppe an ihren üppigen Busen, hauchte ihm einen Kuss auf die Stirn, gab ihn frei, zog ihn neuerlich an sich, rieb ihre Wange an der seinen, grunzte wie eine Bache und erhob sich schließlich ächzend. »Nella, du kannst Mary und Molly im Hof beim Töpfeschrubben helfen. Und nimm gehörig Sand, auch für außen, der Ruß muss von den Böden runter. Wenn du fertig bist, sagst du Bescheid, dann gebe ich dir eine andere Arbeit. Du treibst dich in letzter Zeit sowieso viel zu viel in den Ställen bei den Pferden rum. Da hast du nichts verloren.«
Nella blickte den Zwerg an.
Der Zwerg blickte Nella an – und nickte unmerklich.
Nella zog eine Grimasse und verschwand.
»Na bitte. Man muss dem Mädchen nur sagen, was es zu tun hat, dann geht es.« Mrs.Melrose schnaufte zufrieden. »Ich muss jetzt in die Vorratskammer, will dort die Bestände prüfen. Wartest du hier auf mich, mein kleiner Prinz?«
Der Zwerg machte eine Kopfbewegung, die Mrs.Melrose als Zustimmung verstand, und sie verschwand.
Als sie fort war, erhob sich der Winzling, ging zum Brotkasten und öffnete ihn. Als Erstes schnitt er ein großes Stück vom Mandelkäse ab, schlug es in ein Stück Leinen und steckte es sich ins Gewand. »’s ist fürs Nella-Kind.«
Dann nahm er das Messer ein zweites Mal, machte einen waagerechten Schnitt und trennte die oberste Schicht des Kunstwerks ab. »Kraute zu Korbe, alte Keife!«, fistelte er und strich zwei Löffel scharfes Salz auf den Käse. Anschließend setzte er das oberste Stück wieder drauf, betrachtete sein Werk und kicherte: »’s wird dir ’ne Lehre sein, alte Wahn-Wachtel. Beiß rein un verblüh. Das Nella-Kind wird’s freuen, wenn ich ihm die Geschicht verspinn.«
Als Mrs.Melrose wenig später zurückkam, war der Brotkasten wieder zu und der Zwerg verschwunden.
Nachdem Hartford, der zur Hochnäsigkeit neigende Diener, das Mahl im Grünen Salon serviert hatte, nahm Vitus den Magister beim Arm und ging mit ihm hinunter in den Schlossgarten. Der Tag war schön und lud zum Spazierengehen ein. Sie wandelten die verschlungenen Wege entlang, jeder in seine Gedanken vertieft, und als sie das Rondell mit der alten Ligusterhecke erreichten, sagte Vitus: »Siehst du die Bank dort? Auf der hat mein Großonkel Odo immer gern gesessen.«
Der Magister blinzelte. »Ich sehe sie. Und daran, dass er dort gern gesessen hat, erinnere ich mich gut.«
»Machen wir’s ihm nach.«
Sie setzten sich.
Vitus brach einen Zweig aus dem Strauchwerk und begann damit zu spielen.
Eine Weile verging, während sie eine Heckenbraunelle beobachteten, die emsig hin und her flog. Wahrscheinlich, um ein Nest zu bauen.
Irgendwann brach der Magister das Schweigen. »Lass mich raten«, sagte er.
»Raten? Was willst du raten, Magister?«
»Deine Gedanken.«
»Da bin ich aber gespannt.« Vitus warf den Zweig fort.
»So wie du dem Vogel hinterherschaust, möchte ich wetten, dass es dich in deinen Reiseschuhen juckt.«
Vitus hob den Zweig wieder auf. Der Magister sollte sein überraschtes Gesicht nicht sehen. »Und wenn es so wäre?«
Der kleine Gelehrte grinste. »Ist es so?«
»Ja – du Unkraut.« Vitus wählte die Anrede mit Bedacht, denn sie stand stellvertretend für die tiefe Verbundenheit, die zwischen ihnen herrschte. Zwölf Jahre lag es mittlerweile zurück, dass die spanische Inquisition sie in das tiefste Verlies einer Kleinstadt namens Dosvaldes geworfen hatte, um sie danach gnadenlos zu foltern. Die Gründe waren nichtig, und die Not hatte sie zusammengeschweißt.
Bevor er zum
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