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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Musikzugs war nichts zu hören. Das war ungewöhnlich, denn wo gearbeitet wurde, entstanden Geräusche.
    Vitus beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen, öffnete die Tür der Kammer, stieg über das Süll – und stolperte als Erstes über einen der Trunkenbolde. Der Mann hatte vorhin schon dagelegen, was nichts anderes hieß, als dass Pigett ihn nicht geweckt hatte.
    Was war mit den anderen Schnapsleichen? Vitus schaute herum und stellte fest, dass sie alle noch ihren Rausch ausschliefen. Pigett, dieser Abklatsch eines Offiziers! War er nicht einmal in der Lage gewesen, seine Männer aufzuwecken und an die Arbeit zu schicken?
    Mit einer gehörigen Wut im Bauch machte Vitus sich auf die Suche nach dem Zweiten Offizier, doch außer den wie Blei am Boden liegenden Zechbrüdern und dem Zwerg, der ohne Koch eine Brühe zu brauen versuchte, war niemand an Bord. Das konnte nur eines bedeuten: Pigett hatte sich davongestohlen.
    Vitus knirschte vor Ärger mit den Zähnen. Pigett, dieser Feigling! Hatte sich davongemacht, um für das Tohuwabohu, das er angerichtet hatte, nicht zur Verantwortung gezogen zu werden. Aber es half nichts, der Kerl war fort, und es musste auch ohne ihn weitergehen.
    Was war zu tun? Als Erstes musste er die Männer wieder zum Leben erwecken. Aber wie? Sein Blick fiel auf die Deckspumpe. Er ging hinüber, betätigte probehalber den Schwengel, und – o Wunder! – sie funktionierte. Ein kräftiger Strahl Seewasser prasselte auf die Planken. Vitus ging zu dem nächsten der Trunkenbolde, packte ihn am Kragen und schleifte ihn unter die Pumpe. Nach mehreren Wassergüssen wachte der Mann endlich auf. Er prustete und schüttelte sich wie ein junger Hund.
    »Name, Dienstgrad?«, herrschte Vitus ihn an.
    »Leck mich«, sagte der Kerl und wollte sich wieder hinlegen, aber Vitus war schneller. Er nahm einen der herumliegenden Tampen und zog ihn dem Trunkenbold übers Gesicht. Normalerweise war es nicht seine Art, Untergebene zu schlagen, aber hier musste von Anfang an ein Exempel statuiert werden.
    Der Mann schrie auf, rappelte sich hoch und stand schwankend vor Vitus.
    »Name, Dienstgrad?«
    »Hutch, Sir. Matrose, Sir.«
    »Wie ich sehe, trägst du am Hemd die silberne Spange der
Falcons.
« Vitus trat auf Hutch zu und riss ihm das Abzeichen herunter. »Du bist nicht mehr würdig, diese Spange zu tragen.«
    »A … aber Sir!«
    »Ich werde sie für dich verwahren. Sieh zu, dass du sie dir wieder verdienst. Du kannst gleich damit anfangen, indem du deine versoffenen Kameraden unter die Deckspumpe schleifst – so wie ich es mit dir gemacht habe.«
    »Aye, aye, Sir!« Hutch musste nicht weit laufen, um sich einen der Trunkenbolde zu schnappen. Er packte ihn am Gürtel und zog ihn heran.
    »Dreh ihm das Gesicht nach oben!«
    »Aye, aye, Sir!«
    Vitus bearbeitete kräftig den Schwengel. Ein Schwall eiskaltes Seewasser klatschte dem Mann ins Gesicht. Mit einem Fluch richtete er sich auf.
    »Name, Dienstgrad?« Die Prozedur, die schon Hutch über sich hatte ergehen lassen müssen, wiederholte sich.
    Hutch und Jack, so der Name des zweiten Matrosen, schwärmten anschließend gemeinsam aus und zogen, zerrten oder trugen einen Saufbold nach dem anderen unter die Pumpe. Nach über einer Stunde waren endlich alle an Bord befindlichen Schnapsleichen wieder auf den Beinen, einundzwanzig Mann insgesamt, ausschließlich Mannschaftsdienstgrade. Vitus ließ sie neben der Pumpe im Halbkreis antreten und richtete das Wort an sie:
    »Hört, Männer, ich werde euch nicht
Falcons
nennen, weil ihr es nicht mehr wert seid, so angesprochen zu werden. Ich weiß nicht, warum, und ich weiß auch nicht, wie es geschehen konnte, aber ihr habt dieses herrliche Schiff wie eine Hure behandelt, habt es behandelt wie Dreck und zu einem Dreckskahn gemacht! Dafür müsste ich jeden von euch einzeln kielholen lassen. Aber ich will von dieser Strafe großzügig absehen, zunächst jedenfalls. Stattdessen biete ich euch zwei Möglichkeiten. Die eine: Ich gehe zum Hafenkommandanten und sorge dafür, dass jeder von euch in Ketten gelegt wird und die nächsten Jahre hinter Gittern verbringt. Die andere: Jeder von euch gibt sein Äußerstes, um die
Falcon
so rasch wie möglich wieder unter Segel zu bringen. Wer für die zweite Möglichkeit ist, hebt die Hand.«
    Erst zögernd, dann entschlossen, meldeten sich die Leute. Vitus sah zu seiner Erleichterung, dass es alle waren. Ein erster Erfolg!
    »Gut, Männer, ich habe verstanden. Dann nichts

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