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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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herrschten Schmutz, Dreck und Verwahrlosung. Alles, was das Auge erblickte, war kaputt oder lag wie Kraut und Rüben herum. Vitus dachte an Taggart und war froh, dass dieser das Elend nicht sah.
    Er stolperte nach achtern, stieg einen Niedergang empor und suchte sich einen Weg zu den Kabinen und Kammern. Vielleicht würde er dort jemanden auftreiben, der ihm Rede und Antwort stehen konnte. Lautes Schnarchen drang aus einem der Räume. Er blickte hinein. Ein Betrunkener lag auf dem Boden inmitten von Erbrochenem.
    Der Zwerg, der Vitus nicht von der Seite gewichen war, fistelte: »Is beschickert, der Bock.«
    Vitus beugte sich herab und untersuchte den Mann kurz. »Beschickert ist gar kein Ausdruck. Der Kerl ist sternhagelvoll. Zum Glück ist er nicht beim Vomitieren erstickt. Ansonsten scheint er nur Schlaf zu brauchen, um wieder auf die Beine zu kommen.«
    »Wui, wui.«
    Sie gingen weiter. Nach und nach wurden immer mehr Schnapsleichen sichtbar. Vitus unterdrückte einen Fluch. »Nichts als Chaos, Unrat und Alkohol! Mein Gott, wer hat es so weit kommen lassen? Irgendjemand muss doch dafür verantwortlich sein.«
    »Wiewo, der Taggart isses gewisslich nich.«
    »Natürlich nicht. Der Captain ist vor fast einem Jahr von Bord gegangen. Aber warte mal, du bringst mich auf einen Gedanken. Komm mit.« Vitus ging zur Kajüte des Kommandanten, wobei er über weitere Betrunkene steigen musste. Er stieß die Tür auf und erblickte die vertraute Umgebung. Nichts schien sich verändert zu haben – bis auf den Mann, der schlafend auf einem Stuhl saß, die Beine auf dem Kartentisch ausgestreckt. Im ersten Moment dachte Vitus, es sei Taggart, aber natürlich war er es nicht. Der Mann war deutlich jünger. Er wirkte nicht ganz so zerlumpt wie die anderen Schnapsleichen, trug sogar die Uniformjacke eines Offiziers, stank aber genauso nach Fusel. Er hatte ein aufgedunsenes, nichtssagendes Gesicht und einen dünnen Bart.
    Vitus rüttelte ihn an der Schulter. Er musste es mehrmals tun, bis der Kerl halbwegs erwachte. »Darf ich fragen, was Ihr in der Kajüte des Captains zu suchen habt?«
    »Wer will das wissen?«
    Vitus streckte sich. »Ich bin Vitus von Collincourt, Earl of Worthing. Und wer seid Ihr?«
    »Der Kaiser von Cathai.« Ein hämischen Grinsen überzog das Gesicht des Unbekannten.
    Vitus beherrschte sich. Sicher, sein Aufzug mit der alten Kiepe und dem Wanderstock wies ihn nicht gerade als Graf aus, und auch der Zwerg machte alles andere als einen adeligen Eindruck, aber das war noch lange kein Grund, ihm Unverschämtheiten an den Kopf zu werfen. »Ich nannte mich früher Vitus von Campodios, wenn Euch das mehr sagt. Ich werde von heute an auf der
Falcon
als Schiffsarzt und Cirurgicus dienen. Und nun heraus mit der Sprache, wer seid Ihr?«
    »Ich bin Samuel Pigett, wenn’s beliebt.« Pigett bequemte sich, eines seiner Beine vom Kartentisch zu nehmen. »Zweiter Offizier der
Falcon.
«
    »Seid Ihr der ranghöchste Offizier an Bord?«
    »Erraten, Mister.«
    Vitus schoss die Zornesröte ins Gesicht. »Hört gut zu, Pigett: Ihr habt mich eben zum ersten und letzten Mal ›Mister‹ genannt. Ihr werdet mich künftig mit ›Sir‹ anreden, wie es auf den Schiffen Ihrer Majestät üblich ist und wie es der nötige Respekt gebietet.«
    »Mal langsam.« Pigett nahm das zweite Bein vom Kartentisch. Allmählich schien ihm zu dämmern, dass der andere keine Scherze mit ihm trieb.
    »Wenn Ihr der ranghöchste Offizier an Bord seid, habt Ihr den Saustall hier zu verantworten. Ihr habt ein prächtiges Schiff bis zur Unkenntlichkeit verkommen lassen! Ich kann nur sagen: Gnade Euch Gott, wenn Captain Taggart eintrifft.«
    Pigett sperrte den Mund auf. »Heißt das, er kommt …?«
    »Genau das heißt es. Bis dahin rate ich Euch, alle nur erdenklichen Anstrengungen zu unternehmen, um die
Falcon
wieder auf Vordermann zu bringen. Tretet Euren versoffenen Männern in den Hintern, stellt einen Plan auf, was zuerst und am dringlichsten gemacht werden muss, sorgt dafür, dass aufgetakelt wird, lasst die Culverines wieder an Bord bringen.«
    »Heißt das, wir segeln …?«
    »Ihr habt es abermals erraten. Wir segeln so bald wie möglich gegen den Feind. Und nun: Tut, was ich Euch gesagt habe, oder ich werde Euch tanzen lehren!« Vitus schwang drohend seinen Stock.
    »Aye, aye, äh, Sir.« Pigett war aufgesprungen. »Mich trifft keine Sch …«
    »Eure Erklärungen, wie es zu dieser Schweinerei gekommen ist, könnt Ihr Euch für den Captain

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