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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Sir.« – »Hoho, wieder einer seiner Witze, Sir, wenn er ›Huhn‹ sagt, meint er natürlich die Galionsfigur.« – »Aye, Sir, im Moment sieht sie aus, als würde sie nach unten schielen und die Gischt von den Wellen picken.«
    A m Samstag, dem 11 . Mai, drei Tage früher als beabsichtigt, traf Vitus mit seiner Begleitung in Portsmouth ein. Es war ein frischer Seetag, die englische Kanalflotte dümpelte unruhig an ihren Liegeplätzen, Masten schwangen im Wind, Takelagen sangen, Trossen rieben sich knarrend an Duckdalben und Pollern.
    Im Gegensatz zu dieser verhaltenen Kraft herrschte auf den Kaianlagen geschäftiges Treiben: Transport- und Proviantwagen fuhren hin und her, Kisten, Säcke und Ballen wurden verladen, Wasserfässer übernommen, Tauwerk, Munition, Ersatzsegel an Bord gehievt. Seesoldaten exerzierten auf den Piers, Presskommandos marschierten vorbei, Garküchen boten Essbares feil – und über alledem wurde lautstark gerufen, gepfiffen und kommandiert. Kein Zweifel: Hier machte sich ein großer Schiffsverband kampfbereit.
    Vitus atmete tief ein. Das war die Luft, die er liebte: frisch und salzig und mit einem Beigeschmack nach Teer. Er ließ seinen Blick schweifen, aber die
Falcon
war nirgendwo zu entdecken. »Siehst du unser Schiff, Enano?«
    »Wiewo? No, no! ’s Wasserhaus is futsch.« Der Zwerg plierte ebenfalls in die Runde und deckte dabei mit der Handfläche seine »Spählinge« gegen das grelle Licht ab, aber auch das half nichts.
    Keith, der von den dreien die jüngsten Augen besaß, rief plötzlich: »Dahinten, Mylord! Dahinten liegt noch ein Segler. Aber ich weiß nicht, ob es die
Falcon
ist. Hab sie mir immer ganz anders vorgestellt.«
    Vitus blickte in die angegebene Richtung und schluckte mehrmals. »Und ich habe sie ganz anders in Erinnerung.«
    In der Tat schien die
Falcon
 – denn sie war es wirklich – nur noch ein Schatten ihrer selbst zu sein. Nahezu gänzlich abgetakelt, stießen ihre Masten einsam wie verkohlte Baumstämme in die Luft, ihr Rumpf schien nur aus abgeblätterter Farbe zu bestehen, und der Falke, der ihr als Galionsfigur am Bug voranflog, hing schief – insgesamt bot sie ein mehr als peinliches Bild für jeden Kapitän, der etwas auf sich hielt.
    »Ich wette, Captain Taggart ist noch nicht an Bord«, murmelte Vitus. »Wenn es so wäre, würde man ihn über den gesamten Spithead hinweg brüllen hören. Was ist da nur los?«
    Als sie den Liegeplatz erreichten, saß Vitus ab. Ein Weiterreiten bis zu der Laufbrücke, die aufs Schiff führte, war unmöglich, denn die Rahen der
Falcon,
allesamt auf starken Böcken liegend, versperrten ihnen den Weg. Offenbar hatte sie jemand zur Überholung an Land bringen lassen. Gleiches galt für die mehr als zwanzig Culverines, die in Reih und Glied auf ihren Lafetten ruhten. Ganz offensichtlich war hier etwas angefangen, aber nicht zu Ende geführt worden.
    Vitus hielt vergeblich nach Besatzungsmitgliedern Ausschau, doch außer einer schlafenden Gestalt auf dem Vorschiff war niemand zu entdecken. »Da stimmt doch etwas nicht«, rief er.
    »Wui, wui«, fistelte der Zwerg. »Da is was faul, ich spür’s im Hintergeschirr.«
    »Jawohl, so scheint’s!« Keith packte seinen im Gürtel steckenden Dolch. »Soll ich Euch an Bord begleiten, Mylord?«
    »Nein, Keith. Der Zwerg und ich kommen schon allein zurecht. Reite du nur nach Hause. Marth wird dich bestimmt schon vermissen.«
    »Das hoffe ich doch, Mylord.« Keith grinste bis über beide abstehenden Ohren. Der Gedanke, seine Frau bald wiederzusehen, stimmte ihn froh.
    »Und achte mir gut auf Telemach.« Vitus tätschelte den Hengst. »Ich habe ihm versprochen, mit ihm auszureiten, sobald ich zurück bin.«
    »Ich werde mich um ihn kümmern, Mylord, mein Wort darauf.«
    »Dann Gott befohlen.« Vitus gab Telemach einen Klaps. »Ach, da ist noch etwas. Grüße bitte Lady Nina von mir, und sage ihr nichts von dem, äh, Zustand der
Falcon.
Sage ihr, alles wäre in schönster Ordnung und ich wäre schon wieder so gut wie zu Hause.«
    »Wie Ihr wünscht, Mylord. Angenehme Reise und heile Rückkehr.« Keith verbeugte sich und strebte dann mit den Pferden zum Hafenausgang.
    Telemach wieherte ein letztes Mal.
    Vitus schulterte seine Kiepe und rückte sie zurecht. Dann packte er den kräftigen Wanderstock, der ihn schon durch so viele Länder begleitet hatte, und schritt die Laufbrücke zur Deckspforte hoch. Oben angekommen, bestätigte sich der äußere Eindruck. Auf dem Hauptdeck

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