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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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deine Arbeit zurück.«
    »Aber Sir, ich hab doch die Scheißerei, ich muss doch alle Augenblicke …«
    »Dann lass dich von Hutch für eine Arbeit im Vorschiff einteilen, da hast du es nicht so weit zum Garten.«
    Der Garten war der
Locus necessitatis
für Mannschaften. Er befand sich in der äußersten Bugspitze und bestand aus Brettern mit Löchern, die über das Deck hinausragten. Wenn ein Matrose sich erleichtern wollte, sagte er häufig: »Ich geh mal eben in den Garten.«
    »Äh, meint Ihr wirklich, ich könnte es mit der Arbeit wagen, Sir?«
    »Das meine ich. Und nun hinaus mit dir.«
    »Aye, aye, Sir.«
    Vitus war sicher, dass der Mann simulierte. Deshalb hatte er ihm auch das Nelken-
Liquidum
gegeben, das eigentlich für Mundspülungen bei Patienten mit Zahnschmerzen vorgesehen war. Er hoffte, dass Gerry seine »bittere« Erfahrung gleich weitererzählte, damit die Leute wussten, dass er sich nichts vorgaukeln ließ.
    Es klopfte abermals. Sollte das schon wieder ein Drückeberger sein?
    »Wui, wui, Örl, ich bin’s, der Kreipel. Wollt nach dir spähen, wie strömt’s denn?« Der Zwerg trat ein.
    »Danke, Enano, es geht ganz gut. Was im Übrigen auch für die Matrosen gilt, obgleich der eine oder andere ein Zipperlein vortäuscht. Wenn ich allerdings an den Zustand des Schiffs denke, wird mir angst und bange. Es sind einfach zu wenige Männer da.«
    »Wui, oder zu viele sin verblüht un ha’m Fersengeld gegeben.«
    »So kann man es auch sehen.« Vitus seufzte.
    »Hab dir was zum Picken mitgebracht, Örl.« Der Zwerg stellte eine Kanne mit Brühe und zwei Becher auf den Tisch. In dem Gebräu schwammen Zwiebackstücke. Das Ganze sah nicht besonders einladend aus, roch aber lecker. »Brüh un Bäckling, schmerfig, schmerfig! Hast bis jetzt ja nur Luftklöße un Windsuppe geschnappt.«
    »Das stimmt.« Vitus hatte den ganzen Tag nichts gegessen und merkte erst jetzt, wie hungrig er war. Sie tranken die Brühe und kauten den Zwieback, und während sie es sich schmecken ließen, sagte Vitus: »Auf dich ist Verlass, Zwerg, du bist ein guter Freund.«
    »Wui, nebbich.« Das Mondgesicht des Winzlings wurde rot.
    »Nicht alle sind so treu wie du.«
    »Blausinn! Der Magister is auch treu, wennste den meinst. Is nur grad nich da, der Blinzler, aber er is gewisslich lampenfrei, un wenn ihr euch wieder späht, wirste dich lenzen wie toll, un er sich auch.«
    »Nun ja.« Vitus tat es bereits leid, das Thema angedeutet zu haben. »Wie sieht es bei dir aus? Hast du jemanden, der dir hilft, wenn schon kein Koch an Bord ist?«
    »Wui, wui.«
    »Und wie steht es mit den Vorräten?«
    »Mies, schofel, schattnig!«
    »Auch das noch.« Was Vitus befürchtet hatte, war eingetreten. »Das heißt, wir müssen uns verproviantieren. Daran hätte Lordadmiral Howard auch gern denken können, als er Taggart und mir die Segelorder erteilte. Schließlich wusste er, dass die
Falcon
seit einem Jahr am Kai liegt.«
    »Wiewo, Örl?«
    »Ach nichts. Mir wird schon etwas einfallen. Vielleicht hat Taggart ja auch ein paar Fässer Bohnen und Pökelfleisch dabei, wenn er kommt.«
    »Wui, wui.« Der Zwerg erhob sich, gähnte, streckte die Ärmchen in die Luft und schickte sich an zu gehen. »Adjö!«
    »Du kannst gern bei mir in der Kammer schlafen, Enano, es ist Platz genug vorhanden.«
    »No, no. Bin alleweil lieber da, wo die Spachtelei gepflanzt wird.«
    »Nun gut.« Das hatte Vitus sich schon fast gedacht. Der Zwerg pflegte stets dort zu sein, wo der Quell leiblicher Genüsse sprudelte. »Dann angenehme Nacht, Enano.«
    »Glatte Schwärze, Örl.«
    Vitus schaute dem Zwerg nach und streckte sich in der Koje aus. Es war die erste Nacht seit vielen Jahren ohne Nina an seiner Seite. Seine Frau fehlte ihm. Und Odo, Carlos und Jean fehlten ihm auch. Odo, den er nach seinem Großonkel benannt hatte, Carlos, der den Namen von Ninas Vater trug, und die kleine Jean, deren Name an seine Mutter erinnerte, die in Spaniens Erde begraben war. Sie alle fehlten ihm.
    Was machte er eigentlich hier? Was hatte er hier zu suchen? Die Koje war hart, die Luft feucht, die Kammer klein und stickig. Nichts stimmte mit den schönen Erinnerungen überein, die er mit der stolzen
Falcon
von früher verband. Heute war sie nicht viel mehr als ein Wrack – und er hatte die Verantwortung für sie übernommen. Nina, du fehlst mir so sehr! Dein Duft, deine Wärme, dein leises Stöhnen, wenn ich dich liebkose …
    Warum warst du so hart zu mir? So kenne ich dich gar nicht.

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