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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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maulte Taggart.
    »Es ist nur fast dasselbe«, korrigierte Vitus. »Wir Ärzte haben nicht viele Möglichkeiten, wenn es gilt, die Symptome Eurer Krankheit zu bekämpfen. Und die Schmerzen, die Ihr spürt, sind nichts anderes als Symptome. Sie stehen für das Ungleichgewicht der Säfte, das in Euren Knien herrscht. Die Säfte müssen wieder ins Gleichgewicht, was nur gelingen kann, wenn die Ursache der Gelenkentzündung bekämpft wird.«
    »Solch theoretisches Zeug hat Banester auch von sich gegeben, und was es genützt hat, seht Ihr ja.«
    Vitus verkniff sich eine scharfe Zurechtweisung. »Ihr seid genau das, was ich erwartet habe: kein besonders geduldiger Patient. Um die Ursache Eurer Leiden zu bekämpfen, müssen wir erreichen, dass Eure Knie weniger belastet werden. Das heißt, stundenlanges Stehen auf dem Kommandantendeck ist nicht mehr möglich.«
    Taggart fuhr hoch und achtete nicht auf Vitus’ Versuche, ihn zurückzudrängen. »Ach, und wie stellt Ihr Euch das vor? Soll ich wie ein Erzengel über dem Deck schweben, oder wie?«
    »Ihr könntet Euch dort einen Stuhl installieren lassen, einen Seestuhl, fest verschraubt, witterungsbeständig …«
    »Sehr komisch! Warum nicht gleich ein Bett, eine Lagerstatt, eine Lotterkiste! Und wenn der böse Sturm kommt, zieht der Captain sich die Daunendecke hoch bis über beide Ohren!«
    »Ich verstehe Euch ja, Sir. Aber als Arzt muss ich Euch sagen, was vonnöten wäre.«
    »Mein Platz ist auf dem Kommandantendeck, am höchsten Punkt, von dem aus ich alles beobachten kann. Das war so, das ist so, und das wird immer so bleiben. Und wenn mir die verfluchten Knie dabei abfallen!«
    Es gelang Vitus, Taggart wieder in die horizontale Lage zu drängen. »Regt Euch nicht auf, Sir. Sagt mir lieber, ob Ihr schon eine Besserung spürt.«
    »Bei allen Klabautermännern, das tue ich tatsächlich! Ich wusste ja immer, dass Ihr ein guter Arzt seid, Cirurgicus.«
    »Danke für die Lorbeeren, Sir, aber ich muss sie mir erst noch verdienen. Ihr könntet mir – und in erster Linie Euch – helfen, wenn Ihr den Vorschlag mit dem Stuhl annehmen würdet.«
    »Nein!«
    »Nun, gut, ich merke schon, dass in dieser Hinsicht nicht mit Euch zu reden ist. Ich verlasse Euch jetzt. Ich werde die Arzneien vorbereiten und komme dann wieder. Versucht, Euch in dieser Zeit zu entspannen. Wartet, ich will die kalten Umschläge vorher noch einmal wechseln.« Vitus ging hinaus, wo ein zweiter Satz feuchter Lappen am Mast hängend durchgekühlt war, kehrte zurück und schlug ihn um die Knie seines uneinsichtigen Patienten. »Ich brauche ungefähr eine halbe Stunde, Sir. Bis dann.«
    Zur angegebenen Zeit war Vitus wieder da und fand Taggart tatsächlich schlafend vor. Schmerzen, das wusste er, konnten einen sehr erschöpfen. Ohne Taggart zu wecken, nahm er die Umschläge fort und ersetzte sie durch eine Salbenschicht, die aus den entzündungshemmenden Extrakten von Brennnessel und Arnika bestand sowie einem Ölanteil aus Wacholder, Lavendel und Rosmarin zur Förderung der Durchblutung. Eine Kanne mit würzigem, heißem Weidenrindentee sollte ein neuerliches Aufkommen starker Schmerzen verhindern.
    »Wein wäre mir lieber«, murrte Taggart, der inzwischen wach geworden war. »Wollt Ihr mir noch die letzten Freuden des Lebens nehmen, Cirurgicus?«
    »Ich will Euch helfen, Sir. Deshalb rate ich Euch nochmals dringend, die Knie nicht mehr so stark und so lange zu belasten. Steht wenigstens nicht mehr stundenlang auf dem Kommandantendeck. Lasst Euch von McQuarrie oder Dorsey öfter ablösen, wenn Ihr schon keinen Stuhl aufstellen mögt. Im Übrigen brauche ich Eure Stiefel.«
    »Bei allen Seespinnen, was soll das denn nun wieder heißen? Was wollt Ihr mit meinen Stiefeln?«
    »Ich will erreichen, dass es sich in ihnen besser gehen lässt.«
    »Meine Stiefel bleiben, wie sie sind! Ich habe sie seit dreizehn Jahren, sie sind wie eine zweite Haut. Daran wird nicht herumgebastelt!«
    »O doch! Eure Stiefel mögen Euch lieb und wert sein, aber sie haben lederne Hacken. Und mit jedem Schritt, den Ihr tut, landen Eure Fersen auf eben diesen ledernen Hacken. Sie sind fest und unnachgiebig. Jede Erschütterung beim Auftreten läuft deshalb durch Eure Beine hinauf bis in die Knie – und belastet sie. Deshalb werde ich beide ledernen Hacken durch solche aus Hanf ersetzen. Ich werde dazu Hanfseil nehmen, es zu zwei Schnecken aufschießen und sie unter Eure Stiefel nageln. Euer Gang wird dadurch federnder werden, Eure

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