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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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konnte. Er riss die Tür zu seiner Kajüte auf, stolperte halb über das Süll und warf sich aufatmend in den Stuhl am Kartentisch. Einige Atemzüge verweilte er so, dann stand er auf, stelzte breitbeinig zu dem hölzernen Schapp auf der Backbordseite und holte die Dose mit der Aufschrift
Castoreum anglicum
hervor. Er beabsichtigte, sich eine Portion Bibergeil auf die Knie zu schmieren, so wie er es im vergangenen Jahr schon öfter praktiziert hatte – wenn auch mit geringem Erfolg. Er öffnete die Dose und verzog die Nase, das Zeug stank zum Gotterbarmen, ebenfalls wie im vergangenen Jahr, das hatte er ganz vergessen. »Dann wollen wir mal«, knurrte er und ließ – nach einem sichernden Blick in Richtung Tippertons Tür – die Hose herunter. »Aaah, die verfluchten Schmerzen.«
    »Ich würde das nicht nehmen, Sir.«
    »Was?« Taggart fuhr herum. Hinter dem Paravent, der den Nachtstuhl verdeckte, trat Vitus hervor. Auf Taggarts Stirn entstand eine Falte. »Wo kommt Ihr denn her?«
    »Ich habe auf Euch gewartet, Sir.«
    »Ihr habt hier nichts verloren!«
    »Vielleicht doch, Sir.«
    »Ihr seid unerlaubt in meine Kajüte eingedrungen!«
    »Und Ihr habt mich belogen.«
    »Ich? Euch belogen? Lächerlich!«
    »Ihr habt mir versichert, mit Euren Knien sei alles in Ordnung. Wenn das so ist, frage ich mich, warum Ihr sie einreiben wollt.«
    Taggarts Narbe begann zu glühen. »Nun, äh, eine Vorsichtsmaßnahme.«
    »Unsinn!« Vitus ging auf Taggart zu und beugte sich zu ihm hinunter, so dass ihre Gesichter sich fast berührten. »Die Schmerzen sieht Euch ein Blinder an! Statt sich mir anzuvertrauen, der ich extra Euretwegen an Bord gekommen bin, hantiert Ihr mit dieser Salbe herum.«
    »Moment mal, Ihr seid nur meinetwegen an Bord? Ich denke, es hat Euch gejuckt, die Nase mal wieder in die Seeluft zu halten? Jedenfalls hat Howard etwas Ähnliches auf der Segelorder vermerken lassen. Und ich habe ihm geglaubt.«
    »Ich habe in erster Linie Euretwegen angeheuert, Sir. Das ist die Wahrheit.«
    »Howard, dieser heimtückische Hurensohn! Er kann von Glück sagen, dass er zu spät an den Kai gekommen ist, ich hätte ihm sonst alle Rippen gebrochen. Mich so zu hintergehen!«
    »Lordadmiral Howard hat sich Sorgen um Euer Wohlbefinden gemacht, dasselbe gilt für Sir Francis. Und nun stellt das Bibergeil zur Seite, es nützt sowieso nicht viel.«
    »Das habe ich auch schon gemerkt.«
    »Warum wollt Ihr es dann nehmen?«
    Taggart grummelte irgendetwas.
    »Zieht die Stiefel und die Hose aus und die lange Unterhose auch. Dann legt Euch auf Eure Koje, ich will mir Eure Knie genau ansehen.«
    Taggart grummelte noch immer, gehorchte aber.
    Vitus setzte sich auf die Kante der Koje und tastete die Beingelenke ab. Dann beugte er sie langsam und streckte sie wieder. Ob dieser Vorgang Schmerzen bereitete, musste er Taggart nicht fragen, er sah es ihm am Gesicht an. »Wie ich mir dachte: Eine
inflammatio
wütet in Euren Knien. In diesem Fall verordne ich Euch zunächst kalte Umschläge. Die Lappen dafür habe ich vorsorglich angefeuchtet und in den Wind gehängt, damit sie stark abkühlen und umso größere Linderung schenken. Das Feuer der Entzündung wird auf diese Weise zwar nicht gänzlich gelöscht, aber zumindest eingedämmt.«
    Taggart ächzte: »Die Methode kenne ich. Tipperton kühlt mir auf diese Weise immer den Wein. Ein Gläschen würde mir jetzt guttun.«
    »Das kommt überhaupt nicht in Frage, Sir. Wein und jegliche Form von Alkohol sind ab sofort verboten.« Vitus schlug die Tücher um die Knie, und Taggart zog scharf die Luft ein, jedoch nicht vor Schmerz, sondern weil die Lappen tatsächlich sehr kalt waren.
    »Bleibt jetzt für eine Weile so liegen. Was hat übrigens Professor Banester gegen die Torturen unternommen?«
    »Ach …« Taggart machte eine wegwerfende Geste.
    »Irgendetwas muss er Euch ja gegeben haben.«
    Taggart richtete den Oberkörper halb auf, wurde von Vitus aber wieder in die Kissen gedrückt. »Eine gottverdammte Pampe war das! Schlamm, wenn Ihr so wollt. Den hat er mir um die Knie gepackt und ein Tuch drumgewickelt. Gegen den Schmerz hat er mir Weidenrindentee eingetrichtert, manchmal auch
Laudanum
, wenn es zu schlimm wurde.«
    Vitus nickte. »Ich kenne die Therapie mit heilendem Schlamm und Naturmoor, aber ich kann sie hier auf dem Schiff natürlich nicht anwenden, da ich beides nicht habe. Ich verordne Euch lindernden Tee und Salben zum Auftragen.«
    »Also dasselbe, was Banester gemacht hat«,

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