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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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grad was, un irgendwann hat sie zu mir gesacht, sie hätt nix gegen mich, aber ich hätt ja auch nix für sie, un nur von lauer Luft könnt sie nich leben. Aber malen dürfte ich sie. Malen? Hab ich gefragt. Wieso malen? Ja, hat sie gesacht, sie hätt sich vorgestellt, ich wär’n Maler, un sie würd mir Modell liegen, un vielleicht würd sie dann irgendwann mal bei vornehmen Leuten inner Bude hängen.«
    Die Frau kratzte sich heftig in den verfilzten Haaren, aber sie schien zuzuhören.
    Odder, der bisher neben ihr gehockt hatte, legte sich neben sie. Die Kerze blies er aus, weil es sich so gemütlicher plaudern ließ. »Tja, so hab ich’s Malen angefangen«, fuhr er fort. »’s ging ganz gut, Mrs.Proud meinte, ich hätt Talent, aber vielleicht lag’s auch nur daran, dass ich die Mädels immer’n bisschen hübscher gemalt hab, als sie war’n. Hab die Dicken ’n bisschen dünner gemacht un die Dünnen ’n bisschen dicker. Einmal hab ich ’ne Dicke von ganz nah gemalt, du weißt schon, die Stelle zwischen den Beinen, da hat sie mir eine geknallt, das wär keine Kunst un so, hat sie gesacht, un auch Mrs.Proud war wütend. Da hab ich das Bild im Hafen verkauft, ’s ging ganz leicht, hab’n Farthing dafür gekriegt, ’s war viel Geld damals. Hab dann nur noch so ›Stellen‹ von den Mädels gemalt un nach un nach immer mehr ›männliche Teile‹ dazugemalt, wenn de verstehst, was ich mein. Bin rausgeflogen aus’m Puff, machte aber nix, weil die Sachen gut zu verkaufen war’n. Die Teerjacken auf den Schiffen war’n ganz wild danach un ha’m immer gefracht, wieso ich mich so gut auskenn, ’s würd alles haargenau stimmen, was ich da so malen tät. ›Haargenau‹, hihi, verstehste? Hab dann immer gesacht, solche Bilder würd’s in Rom in den Puffs anner Wand geben, weil mir’n alter Fahrensmann mal so was erzählt hat. Vielleicht war’s auch in Venedig. Kennste Venedig? Ich auch nich. Egal, die Bilder gingen jedenfalls wech wie geschnitten Brot. Hab mir dann den einen oder andren Tropfen mehr gegönnt. Fing an, nich mehr Bier zu trinken, nur noch Wein. Französischen Wein, spanischen Wein, italienischen Wein, deutschen Wein. Der deutsche Wein is der beste. Wein is’n Göttertrank, hab ich mal gehört. Aber Wein is teurer wie Bier. Obwohl, gegen ’n schönes englisches Ale is auch nix einzuwenden. Aber trotzdem. War dann bald pleite. Fühlte mich nich. Konnt nich malen. ’s dauerte ’n paar Wochen, bis ich mich wieder berappelt hatt, dann hab ich weitergemalt. Hab dann wieder Bier getrunken, englisches Ale, weil’s billiger is, aber irgendwie wollt’s mir nich mehr schmecken. Kennste das, wenn einem plötzlich nix mehr schmeckt? Ich glaub, ’s is genau wie mit Kuchen. Wenn de dich erst an Kuchen gewöhnt hast, magste kein Brot nich mehr. Wenn de dich erst ans Faulenzen gewöhnt hast, schmeckt dir die Arbeit nich mehr. Wenn de dich erst ans Geld gewöhnt hast, schmeckt dir die Armut nich mehr. Kennste das? Aber da is noch was: Wenn de dich erst mal an die Freiheit gewöhnt hast, erträgste den Kerker nich mehr. Da hab ich drüber nachgedacht. Ich glaub, du erträgst den Kerker auch nich mehr. Ich glaub, du willst hier raus. Stimmt’s?
    Die Frau nickte langsam.
    »Hab ich mir doch gedacht. Aber’s wird nich einfach sein, dich hier rauszuholn. Jetzt sowieso nich bei dem Rummel im Schiff. Aber später vielleicht. Alle Augenblicke kommt einer gelaufen un will was, un sogar nachts haste keine Ruhe nich. Aber ich hab was für dich, warte mal, Odder hat was für dich.«
    Odder entzündete wieder die Kerze und holte unter dem Hemd ein zusammengerolltes, verschnürtes Papier hervor. »Hier, kannstes ruhig nehmen. Ich muss jetzt los. Aber keine Bange, ich komm wieder.« Odder strich der Frau scheu über das verfilzte Haar. »Ich komm wieder, meine Verzweifelte.«
    Als Odder fort war, richtete die Frau sich auf, so weit es ihr geschwächter Körper zuließ. Dann löste sie mit langsamen Bewegungen die Schnur und entrollte das Papier. Das Papier zeigte ein Bild mit zwei Köpfen, einen jungen Mann und eine junge Frau. Beide hatten schöne, glatte Gesichter, lächelten und schauten sich glücklich an. Es waren die Gesichter von Odder und der Frau.
    Die Frau legte die Zeichnung zur Seite und weinte.

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