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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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der Armada bis ins Kleinste kennen. Zu wissen, dass die Engländer über diese Kenntnisse verfügten, sei für den Angriff sicher sehr wichtig. Sofern die Gran Armada noch nicht in La Coruña aufgebrochen sei, solle ihrem Oberbefehlshaber, dem Duque von Medina Sidonia, dieser Brief unverzüglich überbracht werden. Ansonsten müsse er vernichtet werden.
Viva España!
    Als Absender hatte sie nur »I.« eingesetzt.
    Nun legte sie die Feder beiseite, streute Löschsand auf das Geschriebene und verstaute es mit dem Geld in einer Segeltuchtasche. Sie stand auf. Es war kein leichtes Unterfangen, das sie sich vorgenommen hatte, aber es ging um ihr Vaterland, und sie machte so etwas nicht zum ersten Mal. Außerdem ging es darum, wieder nach Hause zu kommen. Der Wundschneider hatte zwar gesagt, kein Schiff würde den Hafen in Richtung Spanien verlassen, aber das musste noch lange nicht stimmen. Zumindest war es eine Überprüfung wert.
    Sie blickte in den Spiegel und betrachtete sich. Noch immer trug sie sein Hemd, das billig wirkte und schlecht saß, auch wenn sie die Ärmel mittlerweile gekürzt hatte. Ansonsten unterschied sie sich mit ihren kurzen Haaren in nichts von einem jungen Herumtreiber. Bitterkeit überkam sie. Der englische Überfall auf Cádiz stand ihr plötzlich so deutlich vor Augen, als hätte er erst gestern stattgefunden.
»Pienso en ti, madre«,
flüsterte sie und faltete die Hände. »Ich habe gesehen, wie du mit deiner Kutsche in die Luft geflogen bist, ich habe gesehen, wie du mit letzter Kraft herausgeklettert bist, ich habe gesehen, wie du gestorben bist. Das alles habe ich gesehen, und ich habe geschworen, dass die verdammten
Ingles
dafür büßen sollen.«
    Sie trat hinaus auf den Gang und legte das Ohr lauschend an die Tür zum Nebenzimmer, in dem der Wundschneider und der Puddingzwerg logierten. Kein Laut war zu hören. Sie blickte sich um, sah, dass die Luft rein war, und lief leichtfüßig hinunter in den Schankraum, wo sie kurz innehielt und anschließend, wie ein müder Zecher wirkend, dem Ausgang zustrebte. Die Straße, es war die Thames Street, war zu der späten Stunde nur durch einige Öllaternen erleuchtet, so dass die Gestalten, die sich auf ihr hin und her bewegten, eher Schatten als Menschen glichen.
    Isabella war das recht. Als Spanierin tat sie gut daran, unerkannt zu bleiben. Von der Thames Street wandte sie sich nach Süden der Themse zu, denn sie vermutete, dass die Seemannsschenken unten am Fluss lagen. Ihr Plan war einfach: Sie wollte so lange suchen, bis sie eine Spelunke fand, in der spanisch gesprochen wurde. Da London eine riesige Stadt war, musste es so etwas geben. Sie schlich sich von Haus zu Haus, von Schuppen zu Schuppen, von Lager zu Lager, doch wo sie auch hineinlauschte, es schlugen ihr nur englische Sprachfetzen entgegen.
    Da ihr Plan kühn war und sie selbst zäh, ließ sie sich nicht so schnell entmutigen. Auch als sie nach mehreren Stunden immer noch nicht fündig geworden war, gab sie nicht auf. Die Nacht am Fluss war bitterkalt, und sie fröstelte. Ein Gemurmel menschlicher Stimmen wurde laut. Es war ganz in ihrer Nähe. Es war – spanisch!
    Sie unterdrückte den Wunsch, direkt auf die Stimmen zuzulaufen, sondern presste sich an eine Hauswand, um die Dinge abzuwarten.
    Das Gemurmel näherte sich. Kein Zweifel, da sprachen zwei Männer spanisch miteinander. Ihr Herz tat einen Sprung. Sollte ihr größter Wunsch in Erfüllung gehen? Sie beschloss, ihr Versteck aufzugeben. Sie löste sich aus dem Schatten der Wand und ging auf die Männer zu.
»Buenas tardes«,
sagte sie.
»Cómo estás?«
    Die Kerle zuckten zusammen und nahmen eine drohende Haltung ein, doch als sie sahen, dass sie es nur mit einer halben Portion zu tun hatten, antwortete der Größere: »Was willst du, Bürschchen?«
    Isabella wählte ihre Worte mit Bedacht. »Ich freue mich, in diesen Zeiten zwei spanischen Landsleuten zu begegnen.«
    »So, tust du das?«, fragte der Kleinere gedehnt. »Woher willst du wissen, dass wir Spanier sind? Wir könnten genauso gut Engländer sein, die des Spanischen mächtig sind, so was soll’s geben.«
    Isabella spürte eine gewisse Erleichterung. Die Tatsache, dass die beiden vorsichtig waren, sprach für sie. »Ich glaube nicht, dass Engländer so gut spanisch sprechen können«, sagte sie. »Was macht ihr hier so spät am Abend?«
    Jetzt war wieder der Größere dran: »Wer viel fragt, lebt gefährlich, Bürschchen. Besonders, wenn er in der Unterzahl ist. Es

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