Die Liebe des Wanderchirurgen
vor Augen nicht.«
José hinter ihr kicherte. »Das ist auch gut so, Bürschchen.« Er trat Isabella von hinten in die Beine, so dass sie stolperte und der Länge nach hinschlug. Sie wollte aufschreien, aber Marco war schon über ihr und presste seine schwielige Hand auf ihren Mund. Sie biss zu und hörte ein unterdrücktes Stöhnen. Gleich darauf nahm ihr ein Schlag fast die Sinne. José hatte ihr an den Kopf getreten. Nun bog er ihr die Arme auseinander und stellte sich von oben breitbeinig darauf. Er war zwar klein, aber er war auch schwer. Isabella zuckte und zappelte, aber sie konnte sich nicht befreien. Marco packte von vorn ihre Beine und hielt sie mühelos fest. »Wehr dich nicht, kleiner
gato
«, sagte er fast freundlich. »Es ist zwecklos. Halt still, damit ich dein Geld einsacken kann.«
Doch Isabella hielt nicht still, und das sollte ihr zum Verhängnis werden. Sie zappelte und fauchte und fluchte weiter, bis José ihr mit dem rechten Fuß brutal ins Gesicht trat. Das nahm ihr die Besinnung, und Marco nutzte die Zeit, um sich der Segeltuchtasche zu bemächtigen. Er nestelte hektisch am Gürtelschloss, und da das nicht sofort zum Erfolg führte, riss er an Isabellas Hemd und Hose. Er riss und zerrte und stieß plötzlich einen Pfiff aus. »
Madre mia!
Unser kleiner
gato
ist eine
gata.
« Seine Stimme nahm einen lüsternen Ton an. »Mit zwei prallen Glöcklein und einem schwarzkrausen
triángulo!
«
Während José weiter auf Isabellas Armen stand, schaffte es Marco endlich, die Segeltuchtasche zu lösen. Er gab sie seinem Kumpan und ließ die Hose herunter. »Nimm du das Geld, ich nehme die kleine
gata.
«
»Bueno«,
sagte José, und seine Augen leuchteten. »Danach machen wir es umgekehrt.«
[home]
Die Patientin Isabella
»Küss mich noch einmal, bevor es losgeht, Vitus.«
S chon früh am Morgen des 14 . Juni war Vitus auf den Beinen. Das Zimmer, das er mit dem Zwerg
Jack Pudding
teilte, hatte einiges an Bequemlichkeit zu bieten, etwa den eigenen Nachtstuhl und eine hölzerne Sitzwanne für das reinigende Körperbad, doch hielt ihn nichts mehr in der Stadt. Er wollte nach Hause, nach Greenvale Castle
,
heim zu seinen Lieben. Vor allem aber wollte er zu Nina, denn er spürte, dass die Aussprache mit ihr längst überfällig war – umso mehr, als ihn die Nacht, die er mit Isabella in Doktor Halls Kammer verbracht hatte, sehr belastete. Er hatte seitdem immer wieder an ihre Leidenschaft denken müssen, an ihre Gier, ihre Eigensucht, die so anders waren, als Ninas Art, zu lieben. Wo bei Nina verlässliche Glut war, war bei Isabella loderndes Feuer: ein entfesselter Brand, der um sich griff, ein Funke, der übersprang und ihn angesteckt hatte, ob er wollte oder nicht.
Doch das war vorbei. Heute war der Tag, an dem er alles hinter sich lassen und sein Leben wieder in geordnete Bahnen bringen wollte. Er sah den Zwerg an, der mit ihm das Zimmer teilte. Der Winzling ruhte friedlich in einer offenen Kleidertruhe.
Vitus beschloss, den Kleinen noch schlafen zu lassen und Isabella aufzusuchen, um sich von ihr zu verabschieden. Am liebsten hätte er darauf verzichtet, aber es wäre unhöflich, wenn nicht gar feige gewesen, es nicht zu tun. Er trat auf den Gang und klopfte an ihre Tür. Als sich nichts regte, klopfte er abermals. »Isabella?«
Unruhe überkam ihn. Er hatte sie seit dem gestrigen Nachmittag nicht mehr gesehen. »Isabella?«
Als wiederum kein Lebenszeichen zu vernehmen war, stieß er die Tür auf und betrat das Zimmer. Es war ähnlich eingerichtet wie das seine, mit einem stabilen Pfostenbett in der Ecke. Die Vorhänge des Betts waren zugezogen.
»Isabella, ich bin’s. Bist du dahinter? Ich wollte mich von dir verabschieden.« Er riss den Vorhang zurück und atmete auf. Da lag sie ja. Allerdings in einer seltsamen Position, eingerollt wie ein Fötus im Mutterleib. Sie drehte ihm den Rücken zu, und er berührte sie sanft an der Schulter. »Ich muss jetzt gehen. Ich möchte dich nicht stören. Ich wünsche dir alles Gute für die kommende Zeit, äh, auch mit deinem zukünftigen Ehemann. Vielleicht ist er gar nicht so schrecklich, wie er aussieht. Manchmal glaubt man nicht daran, und dennoch wendet sich alles zum Guten.«
Abermals berührte er sie an der Schulter, und diesmal spürte er, dass sie zuckte. »Was ist mit dir?«
»Nichts.«
Er erkannte, dass sie lautlos weinte. Ein Schreck durchfuhr ihn. »Warum weinst du? Komm, sag mir, warum du weinst.«
Isabella antwortete nicht.
Er
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