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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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stellen, damit du standesgemäß die Kriegszeit überstehen kannst.«
    »Ich will kein Geld.«
    »Hör mal, ich verstehe dich nicht, ich denke, du kennst niemanden, der dich aufnehmen könnte, da wird es ohne Geld nicht gehen.«
    »Doch!«
    »Was, doch?«
    »Ich kenne jemanden, der mich aufnehmen könnte.«
    »Na, großartig.« Er lachte erleichtert. »Dann ist das ja geklärt.«
    »Ja, das ist es.« Ihr Weinen hatte aufgehört, und sie lächelte leicht. Er fand, sie sah wunderschön aus, keine Spur mehr von der verhärmten, verhungerten, gedemütigten Gefangenen aus der Bilge. Stattdessen eine junge Frau mit makelloser olivenfarbener Haut.
    Sie blickte ihn unverwandt an, ließ seine Hand an ihrem Gesicht hinuntergleiten und führte sie in die Öffnung ihres Hemds. Er wollte seine Hand fortziehen, aber er tat es nicht. Er spürte die volle Rundung ihrer Brust und musste sich beherrschen, um sie nicht zu umfassen und zu streicheln. Ein Sturm der Gefühle überkam ihn, der Wunsch, ihr nahe zu sein, der Wunsch, zu erfahren, ob ihre Zunge beim Kuss wirklich so vorwitzig war, der Wunsch, sie auf der Stelle … »Ich … ich muss gehen!«
    »Nein.« Sie gab seine Hand frei, stand auf und löschte die Laterne. »Ich habe nicht den ganzen Tag auf dich gewartet, damit du jetzt gehst.«
    »Bitte, versteh doch, ich muss fort«, krächzte er.
    Und blieb.
     
     
     
    »Klar bei Vor- und Achterleinen!«, brüllte Taggart mit seiner lautesten Stimme. »Macht sie fest!«
    »Aye, aye, Sir!«, rief McQuarrie zurück. »Gleich haben wir’s geschafft. Old England hat uns wieder!«
    »Gott sei’s getrommelt und gepfiffen«, sagte Taggart mehr zu sich selbst. »Hätte manchmal nicht gedacht, dass wir unser Albion jemals wiedersehen.«
    Wenig später rieben sich die Barkhölzer der
Falcon
an Paul’s Wharf, westlich der großen London Bridge, und Tipperton begann auf dem Hauptdeck, der Mannschaft ihre Heuer auszuzahlen – nicht ohne Zähneknirschen von Taggart, der sich darüber ärgerte, dass er die Beträge, die eigentlich die Krone zu begleichen hatte, vorstrecken musste.
    »Habt Ihr starke Schmerzen, Sir?«, fragte Vitus, der Taggarts Gesichtsausdruck missdeutete.
    »Nein, Cirurgicus, danke der Nachfrage. Die Schmerzen sind erträglich, nur noch ein dumpfes Ziehen. Was mich am meisten wurmt, ist, dass ich Jims Stoßzahnbein noch nicht unterschnallen kann. Muss weiterhin mit Krücken über mein Schiff humpeln.«
    »Das ist nicht verwunderlich, Sir. Wir haben heute den dreizehnten Juni« – Vitus rechnete rasch nach –, »die Amputation liegt somit erst eine Woche zurück. Das beste Heilfleisch der Welt könnte sich nicht in so kurzer Zeit vollends schließen. Aber wie ich beim Verbandwechsel heute Morgen sah, macht Ihr gute Fortschritte, so gute immerhin, dass ich das
Laudanum
schon absetzen konnte. Mit Glück tragt Ihr in zwei oder drei Monaten den ersehnten Ersatz, dann vielleicht sogar aus Elfenbein.«
    Taggart schmunzelte, denn er musste an
Jack Pudding,
den Zwerg, denken, dessen Idee das »Elfenbeinbein« gewesen war. »Wo ist der Wicht Enano überhaupt?«, fragte er.
    »Dort an der Steuerborddeckspforte, Sir.« Vitus wies auf fünf oder sechs Matrosen, die, eifrig schwatzend und den erhaltenen Lohn zählend, das Schiff verließen. Wie alle Teerjacken der Welt hatten sie nichts Eiligeres zu tun, als an Land zu gehen, sich volllaufen zu lassen und die eigenen überschäumenden Säfte wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Unter ihnen befand sich tatsächlich
Jack Pudding,
der hüpfend und singend auf die Pier sprang.
    »Ich sehe ihn«, sagte Taggart.
    »Aye, Sir.« Vitus klopfte das Herz bis zum Hals, denn der Pulk Menschen bestand nicht nur aus Matrosen und aus
Jack Pudding,
sondern auch aus Isabella, die sich in ihren Männerkleidern unauffällig dazugesellt hatte. Eine andere Möglichkeit, sie unbemerkt von Bord zu schmuggeln, war Vitus nicht eingefallen. Er war froh über die leuchtend blaue Kleidung des Zwergs und ebenso über sein Gehüpfe, denn damit lenkte der Winzling die Aufmerksamkeit eines jeden Beobachters auf sich. Auch die von Taggart, wie es schien, denn dieser fuhr fort, ihm hinterherzuschauen, und sagte: »Schade, dass er sich nicht von mir verabschiedet hat, das wäre das mindeste gewesen, nachdem wir so oft geplaudert haben.«
    »Oh, Sir, ich bin sicher, er wird es noch tun. Ich habe ihn lediglich vorgeschickt, damit er im
Old Swan
zwei Zimmer reserviert.«
    »Na, hoffentlich beeilt er sich. Sowie

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