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Die Liebe einer Frau

Die Liebe einer Frau

Titel: Die Liebe einer Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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mir.«
    »Was hat er denn nur?«, fragte Enid ihre Mutter, und ihre Mutter sagte: »Ach, mach nur. Mach nur und versprich es ihm. Was ändert das schon?«
    Enid fand diese Äußerung schockierend, sagte aber nichts dazu. Diese Worte standen in Einklang mit der Haltung ihrer Mutter gegenüber vielen Dingen.
    »Ich werde nichts versprechen, was ich nicht verstehe«, sagte sie. »Ich werde wahrscheinlich sowieso nichts versprechen. Aber wenn du weißt, wovon er redet, musst du es mir sagen.«
    »Das ist nur so eine Vorstellung, die er jetzt hat«, sagte ihre Mutter. »Er hat die Vorstellung, dass Krankenpflege eine Frau ordinär macht.«
    »Ordinär«, sagte Enid.
    Ihre Mutter sagte, der Teil der Krankenpflege, den ihr Vater ablehnte, sei der vertraute Umgang, den Krankenschwestern mit Männerkörpern hatten. Ihr Vater war zu der Überzeugung gelangt, dass solcher Umgang ein Mädchen veränderte und darüber hinaus die Meinung veränderte, die die Männer von diesem Mädchen hatten. Das würde ihre guten Aussichten verderben und ihr eine Reihe anderer Aussichten eröffnen, die weniger gut waren. Einige Männer würden das Interesse verlieren, und andere würden sich auf die falsche Art für sie interessieren.
    »Ich vermute, es hängt alles damit zusammen, dass er dich verheiratet sehen möchte«, sagte ihre Mutter.
    »Wenn das so ist, hat er Pech gehabt«, sagte Enid.
    Aber am Ende versprach sie es doch. Und ihre Mutter sagte: »Ich hoffe, das macht dich glücklich.« Nicht »macht ihn glücklich«. »Macht
dich
.« Ihre Mutter schien vor Enid gewusst zu haben, wie verlockend dieses Versprechen sein würde. Das Versprechen am Sterbebett, die Selbstverleugnung, das umfassende Opfer. Und je absurder, desto besser. All dem hatte sie nachgegeben. Und auch nicht (so deutete ihre Mutter an) aus Liebe zu ihrem Vater, sondern wegen des Schauders. Schiere edelmütige Unnatur.
    »Wenn er dich gebeten hätte, etwas aufzugeben, woran dir ohnehin nicht viel liegt, hättest du es ihm wahrscheinlich rundweg abgeschlagen«, sagte ihre Mutter. »Wenn er dich zum Beispiel gebeten hätte, keinen Lippenstift mehr zu benutzen. Du würdest ihn immer noch benutzen.«
    Enid hörte sich das mit geduldiger Miene an.
    »Hast du deswegen gebetet?«, fragte ihre Mutter scharf.
    Enid antwortete mit Ja.
    Sie verließ die Schwesternschule; sie blieb zu Hause und machte sich nützlich. Es war genug Geld vorhanden, sodass sie nicht arbeiten gehen musste. Ursprünglich war es ihre Mutter, die nicht gewollt hatte, dass Enid Krankenschwester wurde, mit der Begründung, das sei nur etwas für arme Mädchen, ein Ausweg für Mädchen, deren Eltern sich nicht leisten konnten, sie zu Hause zu behalten oder aufs College zu schicken. Enid erinnerte sie nicht an diese Widersprüchlichkeit. Sie strich einen Zaun an, sie hüllte die Rosensträucher für den Winter ein. Sie lernte backen, und sie lernte Bridge spielen und nahm in den wöchentlichen Partien, die ihre Mutter mit Mr. und Mrs. Willens von nebenan spielte, den Platz ihres Vaters ein. Binnen kürzester Zeit wurde sie – wie Mr. Willens sagte – eine beschämend gute Spielerin. Er gewöhnte sich an, mit Schokolade oder einer rosa Rose für sie zu kommen, um sich für seine Unzulänglichkeiten als Partner zu entschuldigen.
    An den Winterabenden ging sie Schlittschuh laufen. Sie spielte Badminton.
    Es hatte ihr nie an einem Freundeskreis gemangelt, und so auch jetzt nicht. Die meisten von denen, die mit ihr in der Abschlussklasse der Highschool gewesen waren, beendeten jetzt das College oder arbeiteten bereits in anderen Städten als Lehrer oder Krankenschwestern oder Steuerberater. Aber sie freundete sich mit anderen an, die vor dem letzten Jahr die Schule verlassen hatten, um in Banken oder Läden oder Büros zu arbeiten, um Klempner oder Putzmacherinnen zu werden. Die Mädchen in dieser Gruppe fielen wie die Fliegen, wie sie voneinander sagten – sie fielen in den Ehestand. Enid bewährte sich als Organisatorin der Brautgeschenke und Hilfe bei den Nähnachmittagen für die Aussteuer. In ein paar Jahren würden die Taufen kommen, wo sie erwarten konnte, die bevorzugte Patin zu werden. Kinder, die nicht mit ihr verwandt waren, würden aufwachsen und sie Tante nennen. Und für Frauen, so alt wie ihre Mutter oder älter, war sie bereits eine Art Ehrentochter, die einzige junge Frau, die für den Buchklub und die Gesellschaft der Gartenfreunde Zeit hatte. So rutschte sie noch in ihrer Jugend rasch und

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