Die Liebe einer Frau
beseitigen wir sie nicht einfach wie eine tote Katze? Das denkt er doch. Stimmt’s?«
»Das bezweifle ich«, sagte Enid und brachte die Waschschüssel und die Handtücher, den Franzbranntwein und den Babypuder.
»Das bezweifle ich«, sagte Mrs. Quinn voller Tücke, ließ sich aber bereitwillig das Nachthemd ausziehen, das Haar aus dem Gesicht streichen und ein Handtuch unter die Hüften schieben. Enid war es gewohnt, dass die Leute sich anstellten, nackt zu sein, auch wenn sie sehr alt oder sehr krank waren. Manchmal musste sie sie mit Frotzeleien oder Vorhaltungen zur Vernunft bringen. »Meinen Sie, ich habe noch nie einen Unterleib gesehen?«, sagte sie dann. »Unterleib, Oberkörper, nach einer Weile wird das ziemlich langweilig. Wissen Sie, wir sind eben nur auf die eine oder die andere Art gemacht.« Aber Mrs. Quinn war frei von Scham, spreizte die Beine und hob den Po etwas an, um Enid die Arbeit zu erleichtern. Sie war eine kleine, zartknochige Frau, jetzt sonderbar verformt, der Leib und die Glieder aufgetrieben und die Brüste zu kleinen Beuteln verschrumpelt mit Brustwarzen wie Korinthen.
»Aufgedunsen wie’n Schwein«, sagte Mrs. Quinn. »Bis auf meine Titten, und die waren immer ziemlich nutzlos. Hatte nie große Euter, so wie Sie. Ekeln Sie sich nicht vor mir? Werden Sie nicht froh sein, wenn ich tot bin?«
»Wenn ich so dächte, wäre ich nicht hier«, sagte Enid.
»Das rechte Ende für schlechtes Fleisch«, sagte Mrs. Quinn. »Das werdet ihr alle sagen. Das rechte Ende für schlechtes Fleisch. Ich bin doch für ihn zu nichts mehr nütze. Ich bin für keinen Mann mehr zu was nütze. Jeden Abend verschwindet er und geht Frauen aufgabeln, was?«
»Soweit ich weiß, geht er ins Haus seiner Schwester.«
»Soweit Sie wissen. Aber Sie wissen nicht viel.«
Enid meinte zu wissen, was es damit auf sich hatte, mit dieser Bosheit und Gehässigkeit, der Kraft, die sie sich zum Geifern aufsparte. Mrs. Quinn schlug nach einem Feind um sich. Kranke Menschen entwickelten einen Groll gegen gesunde Menschen, und manchmal gab es das zwischen Eheleuten oder sogar zwischen Müttern und ihren Kindern. Im Falle von Mrs. Quinn sowohl gegenüber dem Ehemann als auch den Kindern. An einem Samstagmorgen rief Enid Lois und Sylvie von ihren Spielen unter der Veranda herein, damit sie kamen und sahen, wie hübsch ihre Mutter war. Mrs. Quinn hatte gerade ihre Morgenwäsche hinter sich und steckte in einem sauberen Nachthemd, ihr feines, spärliches blondes Haar war zurückgebürstet und wurde von einem blauen Band zusammengehalten. (Enid nahm einen Vorrat von diesen Bändern mit, wenn sie eine Patientin pflegen ging – außerdem eine Flasche Eau de Cologne und ein Stück parfümierte Seife.) Mrs. Quinn war wirklich hübsch – oder man konnte zumindest sehen, dass sie einmal hübsch gewesen war, mit der breiten Stirn und den markanten Wangenknochen (sie durchbohrten jetzt fast die Haut, wie Türknöpfe aus Porzellan) und den großen grünlichen Augen und den durchscheinenden Kinderzähnen und dem kleinen, trotzigen Kinn.
Die Kinder kamen gehorsam, wenn auch nicht begeistert ins Zimmer.
Mrs. Quinn sagte: »Die sollen mir ja von meinem Bett wegbleiben, die sind schmutzig.«
»Sie wollen Sie nur sehen«, sagte Enid.
»So, jetzt haben sie mich gesehen«, sagte Mrs. Quinn. »Jetzt können sie wieder gehen.«
Dieses Verhalten schien die Kinder nicht zu überraschen oder zu enttäuschen. Sie sahen Enid an, und Enid sagte: »Also dann, eure Mutter muss sich jetzt ausruhen«, und die beiden rannten hinaus und knallten die Küchentür zu.
»Können Sie denen nicht beibringen, das zu lassen?«, sagte Mrs. Quinn. »Das ist jedes Mal wie ein Ziegelstein, der mir gegen die Brust fliegt.«
Man hätte meinen können, dass ihre beiden Töchter zwei ungebärdige Waisenkinder waren, die man ihr für unbegrenzte Zeit aufgehalst hatte. Aber so waren manche Menschen, bevor sie sich ins Sterben fügten, und manchmal sogar bis zu dem Ereignis selbst. Menschen von – zumindest dem Anschein nach – sanfterem Wesen als Mrs. Quinn sagten unter Umständen, dass sie wussten, wie sehr ihre Brüder, Schwestern, Ehemänner, Ehefrauen und Kinder sie schon immer gehasst hatten, welche Enttäuschung sie schon immer für andere und andere für sie gewesen waren, und wie froh alle sein würden, wenn sie endlich weg wären. Sie sagten das unter Umständen am Ende eines friedlichen, arbeitsamen Lebens inmitten einer liebevollen Familie, in
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