Die Liebe einer Frau
leicht in diese wesentliche, zentrale und doch isolierte Rolle.
Aber eigentlich war das schon immer ihre Rolle gewesen. In der Highschool war sie jedes Jahr Klassensprecherin oder -organisatorin gewesen. Sie war beliebt und lebhaft und gutgekleidet und hübsch, aber sie stand ein wenig abseits. Zu ihrem Freundeskreis gehörten auch Jungen, aber sie hatte nie einen Freund. Sie schien sich in dieser Richtung nicht entschieden zu haben, aber sie machte sich deswegen auch keine Sorgen. Sie wurde ganz von ihrem Ehrgeiz in Anspruch genommen – Missionarin zu werden, in einer peinlichen Phase, und dann, Krankenschwester zu werden. Sie hatte in der Krankenpflege nie nur etwas gesehen, was sie bis zu ihrer Heirat tun konnte. Ihre Hoffnung war es, gut zu sein und Gutes zu tun, und das nicht unbedingt in der geordneten, üblichen weiblichen Weise.
Am Silvesterabend ging sie in den Rathaussaal tanzen. Der Mann, der am häufigsten mit ihr tanzte und sie nach Hause brachte und ihr zum Abschied die Hand drückte, war der Leiter der Molkerei – ein Mann in den Vierzigern, nie verheiratet, ein ausgezeichneter Tänzer, ein onkelhafter Freund der Mädchen, die nur schwer Partner fanden. Keine Frau nahm ihn je ernst.
»Vielleicht solltest du einen kaufmännischen Kurs machen«, sagte ihre Mutter. »Oder warum gehst du nicht aufs College?«
Wo die Männer sie vielleicht eher zu schätzen wussten, dachte sie bestimmt.
»Ich bin zu alt«, sagte Enid.
Ihre Mutter lachte. »Das zeigt nur, wie jung du bist«, sagte sie. Es schien sie zu erleichtern, dass ihre Tochter etwas von der ihrem Alter gemäßen Hysterie zeigte – dass sie vermeinte, einundzwanzig sei unendlich weit entfernt von achtzehn.
»Ich werde nicht mit den Halbwüchsigen aus der Highschool herumtrotten«, sagte Enid. »Das ist mein Ernst. Warum willst du mich überhaupt loswerden? Ich fühle mich hier wohl.« Dieser Eigenwille oder Trotz schien ihrer Mutter ebenfalls Genugtuung zu bereiten. Doch einen Augenblick später seufzte sie und sagte: »Du wirst überrascht sein, wie schnell die Jahre vergehen.«
In jenem August gab es zahlreiche Fälle von Masern und mehrere Fälle von Kinderlähmung. Der Arzt, der ihren Vater betreut hatte und dem ihre Anstelligkeit und Tüchtigkeit im Krankenhaus aufgefallen war, fragte sie, ob sie bereit wäre, eine Weile lang auszuhelfen und Patienten zu Hause zu pflegen. Sie sagte, sie würde es sich überlegen.
»Du meinst beten?«, fragte ihre Mutter, und Enids Gesicht nahm einen trotzigen, verschlossenen Ausdruck an, der bei einem anderen Mädchen vielleicht etwas mit einem Rendezvous zu tun gehabt hätte.
»Dieses Versprechen«, sagte sie am nächsten Tag zu ihrer Mutter. »Das ging doch darum, in einem Krankenhaus zu arbeiten, nicht?«
Ihre Mutter sagte, dass sie es so verstanden hatte, ja.
»Und um das Examen und dann staatlich geprüfte Krankenschwester zu sein?«
Ja, ja.
Wenn also Menschen Pflege brauchten, die es sich nicht leisten konnten, ins Krankenhaus zu gehen, oder das nicht wollten, und wenn Enid zu ihnen ins Haus ging, um sie zu pflegen, nicht als staatlich geprüfte Krankenschwester, sondern als das, was man eine praktisch ausgebildete Krankenschwester nannte, dann würde sie doch ihr Versprechen eigentlich nicht brechen, oder? Und da die meisten der Pflegebedürftigen Kinder sein würden, oder Frauen, die gerade ein Baby bekommen hatten, oder alte Leute, die im Sterben lagen, würde für sie kaum die Gefahr bestehen, ordinär zu werden, nicht wahr?
»Wenn die einzigen Männer, die du zu sehen bekommst, solche sind, die nie wieder aus dem Bett aufstehen werden, dann hast du nicht Unrecht«, sagte ihre Mutter.
Aber sie konnte sich nicht verkneifen hinzuzufügen, all das bedeute nur, dass Enid beschlossen hatte, die Möglichkeit einer guten Stellung im Krankenhaus aufzugeben, um in elenden, primitiven Häusern elende Knochenarbeit für schändlich wenig Geld zu leisten. Enid würde sich gezwungen sehen, Wasser aus verseuchten Brunnen zu pumpen und im Winter das Eis in Waschbecken aufzuhacken und im Sommer Fliegen zu bekämpfen und eine Außentoilette zu benutzen. Waschbretter und Petroleumlampen statt Waschmaschinen und elektrischem Licht. Die Plackerei, unter diesen Umständen Kranke und den Haushalt und dazu noch arme, wieselige Kinder zu versorgen.
»Aber wenn das dein Lebensziel ist«, sagte sie, »weiß ich schon, je schlimmer ich es dir ausmale, desto fester wird dein Entschluss, es zu tun. Als
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