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Die Liebe einer Frau

Die Liebe einer Frau

Titel: Die Liebe einer Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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Methode, Buße zu tun. Sie arbeitete sehr leise, aber beharrlich die ganze Nacht hindurch, wusch die beschlagenen Gläser und klebrigen Teller ab, die in den Schränken standen, und schuf Ordnung, wo es vorher keine gegeben hatte. Überhaupt keine. Teetassen hatten sich zwischen dem Ketchup und dem Senf herumgedrückt und Toilettenpapier auf einem Eimer mit Honig. Kein Wachspapier, nicht einmal Zeitungspapier war auf den Borden ausgelegt. Brauner Zucker in einer Tüte war hart wie Stein. Es war verständlich, dass in den letzten paar Monaten alles verkommen war, aber es sah aus, als wäre hier nie etwas sauber und ordentlich gewesen. Alle Tüllgardinen waren grau von Rauch, und die Fensterscheiben waren schmierig. Das letzte bisschen Marmelade war im Glas geblieben, um Schimmel anzusetzen, und übelriechendes Wasser in einer Vase, in der vor Zeiten ein Blumenstrauß gestanden hatte, war nie ausgegossen worden. Aber es war immer noch ein gutes Haus, das gründliches Putzen und frische Farbe wieder herrichten konnten.
    Allerdings, was machte man nur mit der hässlichen braunen Farbe, mit der erst vor kurzem und sehr schlampig der Fußboden im Wohnzimmer gestrichen worden war?
    Als sie später am Tag ein wenig Zeit hatte, rupfte sie das Unkraut aus den Blumenbeeten von Ruperts Mutter, grub die Kletten und Quecken aus, die die tapferen Stauden erstickten.
    Sie brachte den Kindern bei, den Löffel richtig zu halten und ein Tischgebet zu sprechen.
Wir danken dir für deine Gaben, Die uns auch heute wieder laben.
     
    Sie brachte ihnen bei, sich die Zähne zu putzen und dann ihr Nachtgebet zu sagen.
    »Gott segne Mama und Daddy und Enid und Tante Olive und Onkel Clive und Prinzessin Elisabeth und Prinzessin Margaret Rose.« Danach fügte jede den Namen der Schwester hinzu. Nachdem sie das bereits etliche Mal getan hatten, fragte Sylvie eines Abends: »Was heißt das?«
    Enid sagte: »Was heißt was?«
    »Was heißt das, ›Gott segne‹?«
     
    Enid machte Eiermilch, würzte sie nicht einmal mit Vanille und fütterte Mrs. Quinn damit. Sie gab ihr jedes Mal nur ein paar Löffel der reichhaltigen Flüssigkeit, und kleine Portionen konnte Mrs. Quinn bei sich behalten. Wenn sie nicht dazu fähig war, fütterte Enid sie mit schalem, lauwarmem Ginger Ale.
    Das Sonnenlicht, überhaupt alles Licht war Mrs. Quinn inzwischen ebenso verhasst wie das leiseste Geräusch. Enid musste die Fenster mit Decken verhängen, sogar bei heruntergelassenen Jalousien. Da der Ventilator ausgestellt war, wie Mrs. Quinn es verlangte, wurde es im Zimmer sehr heiß, und Schweiß tropfte Enid von der Stirn, wenn sie sich über das Bett beugte, um die Patientin zu versorgen. Mrs. Quinn hatte Anfälle von Schüttelfrost; nie war ihr warm genug.
    »Das zieht sich hin«, sagte der Arzt. »Muss an diesen Milchshakes liegen, die Sie ihr geben, die halten sie in Gang.«
    »Eiermilch«, sagte Enid, als spielte das eine Rolle.
    Mrs. Quinn war jetzt oft zu müde oder zu schwach, um zu reden. Manchmal lag sie völlig apathisch da, Atem und Puls gingen so flach und unregelmäßig, dass jemand mit weniger Erfahrung als Enid sie für tot gehalten hätte. Aber sie erholte sich wieder, wollte das Radio angestellt haben, dann wieder ausgestellt. Sie wusste immer noch ganz genau, wer sie war und wer Enid war, und manchmal schien sie Enid mit einem nachdenklichen oder forschenden Ausdruck in den Augen zu beobachten. Alle Farbe war aus ihrem Gesicht und sogar aus ihren Lippen längst geschwunden, aber ihre Augen sahen grüner aus als je zuvor – ein milchiges, wolkiges Grün. Enid versuchte, dem Blick, der auf sie gerichtet war, zu begegnen.
    »Soll ich Ihnen einen Priester holen?«
    Mrs. Quinn zog ein Gesicht, als wollte sie spucken.
    »Seh ich aus wie ’n irischer Bauerntrampel?«, sagte sie.
    »Einen Pfarrer?«, fragte Enid. Sie wusste, es war richtig, das zu fragen, aber die Gesinnung, aus der sie fragte, war nicht richtig – war kalt und ein wenig boshaft.
    Nein. Das war nicht das, was Mrs. Quinn wollte. Sie ächzte vor Missbilligung. Es steckte immer noch etwas Kraft in ihr, und Enid hatte das Gefühl, sie sammelte sie für einen bestimmten Zweck. »Möchten Sie mit Ihren Kindern sprechen?«, fragte sie und zwang sich, mitfühlend und ermutigend zu klingen. »Wollen Sie das?«
    Nein.
    »Mit Ihrem Mann? Ihr Mann wird bald hier sein.«
    Aber das wusste Enid nicht genau. Rupert kam an manchen Abenden erst spät, nachdem Mrs. Quinn ihre letzten Tabletten

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