Die Liebe einer Frau
mehr todtraurig. Sie denken wohl, es lohnt sich nicht.
Er wusste, ich würde mich um sie kümmern, obwohl er nicht wissen konnte, wie lange das dann gedauert hat«, sagte sie. »Ich würde dir gern den Brief von dem Arzt zeigen, aber ich habe ihn weggeworfen. Das war sehr dumm von mir, aber ich war zu der Zeit verzweifelt. Ich wusste überhaupt nicht, wie ich den Rest meines Lebens bewältigen sollte. Ich habe nicht daran gedacht, dass ich dem nachgehen und mich nach seiner Approbation erkundigen oder einen Totenschein verlangen müsste oder irgendwas. An so was habe ich erst später gedacht, und da hatte ich die Adresse nicht mehr. Ich konnte nicht an die amerikanische Botschaft schreiben, denn das waren die Letzten, mit denen Cottar irgendwas zu tun haben wollte. Und er war kein kanadischer Staatsbürger. Vielleicht hatte er sogar einen anderen Namen. Eine falsche Identität, in die er schlüpfen konnte. Falsche Papiere. Er hat immer wieder so was angedeutet. Das war für mich ein Teil seiner Faszination.«
»Einiges davon könnte eine Art Selbstinszenierung gewesen sein«, sagte Kent. »Meinst du nicht?«
Sonje sagte: »Aber sicher.«
»Es gab keine Lebensversicherung?«
»Wo denkst du hin?«
»Wenn eine existiert hätte, dann hätte die Versicherung die Wahrheit herausgefunden.«
»Ja, aber es gab keine«, sagte Sonje. »Deshalb habe ich vor, das zu tun.«
Sie sagte, darüber hätte sie mit ihrer Schwiegermutter nie gesprochen. Dass sie, wenn sie erst allein auf der Welt stand, sich umtun würde. Bis sie Cottar fand, oder die Wahrheit.
»Du hältst das wahrscheinlich alles für ein Hirngespinst?«, sagte sie.
Nicht mehr ganz dicht, dachte Kent mit einem unangenehmen Ruck. Bei jedem Besuch auf dieser Reise hatte es für ihn einen Moment schwerer Enttäuschung gegeben. Den Moment, wenn ihm klar wurde, dass die Person, mit der er redete, die Person, die er eigens aufgesucht hatte, ihm nicht das geben würde, weswegen er gekommen war. Der alte Freund, den er in Arizona besucht hatte, war ganz von den Gefahren besessen, die das Leben bereithielt, trotz seiner kostspieligen Unterbringung in einer bewachten Wohnanlage. Die Frau seines alten Freundes, die über siebzig war, wollte ihm Fotos von sich und einer weiteren alten Frau zeigen, von einem bunten Abend, auf dem sie sich als Tanzgirls aus der Goldrauschzeit verkleidet hatten. Und seine inzwischen erwachsenen Kinder führten ihr eigenes Leben. Das war nur natürlich und für ihn keine Überraschung. Überraschend war, dass das Leben seiner Söhne und seiner Tochter recht eng geworden zu sein schien, einigermaßen vorhersehbar. Selbst die Veränderungen, die absehbar waren oder ihm angekündigt wurden – Noelle stand kurz davor, sich von ihrem zweiten Mann zu trennen –, waren nicht sonderlich interessant. Er hatte das Deborah gegenüber nie zugegeben, es kaum sich selbst eingestanden, aber so war es. Und jetzt Sonje. Sonje, die er nie besonders gemocht hatte, die ihm ein wenig unheimlich gewesen war, die er aber geachtet hatte, als etwas rätselhaft – Sonje hatte sich in eine geschwätzige alte Frau verwandelt, die genaugenommen nicht mehr ganz dicht war.
Und er hatte einen Grund für seinen Besuch bei ihr gehabt, dem sie bei all dem Gerede über Cottar nicht näherkamen.
»Um ehrlich zu sein«, sagte er. »Es hört sich nicht sehr vernünftig an, um ganz ehrlich zu sein.«
»Die Jagd nach einem Phantom«, sagte Sonje fröhlich.
»Es kann auch sein, dass er inzwischen ohnehin tot ist.«
»Stimmt.«
»Und er hätte überall hingehen und überall leben können. Vorausgesetzt, deine Theorie trifft zu.«
»Stimmt.«
»Also ist die einzige Hoffnung, nur wenn er damals wirklich gestorben ist und deine Theorie nicht zutrifft, besteht die Möglichkeit, dass du etwas herausbekommst, und das würde dich keinen Schritt weiterbringen, als du jetzt bist.«
»Oh, ich denke doch.«
»Du könntest dann ebenso gut hierbleiben und Briefe schreiben.«
Sonje sagte, sie sei anderer Meinung. Sie sagte, bei so einer Sache könne man nicht den Behördenweg nehmen.
»Du musst dich auf den Straßen bekanntmachen.«
Auf den Straßen von Jakarta – da wollte sie anfangen. In Städten wie Jakarta leben die Menschen nicht wie Maulwürfe. Sie leben auf den Straßen, und man weiß etwas über sie. Ladenbesitzer wissen etwas. Es gibt immer jemanden, der von jemand anders weiß und so weiter. Sie würde Fragen stellen, und es würde sich herumsprechen, dass sie da war.
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