Die Liebe einer Frau
nicht sehen können.
»Hast du gehört, dass sie mich gerufen hat?«, fragte Kath. »Bist du deshalb nach Hause gegangen und hast die Flasche geholt?«
»Ich hatte schon vorher daran gedacht«, sagte er. »Ich dachte, es wäre an der Zeit.« Er hielt die Flasche hoch, um zu sehen, wie viel Noelle getrunken hatte.
»Hungrig«, sagte er.
Sie sagte: »Ja.«
»Das ist jetzt deine Gelegenheit. Wenn du dir einen ansaufen willst.«
»Und du? Hast du dir einen angesoffen?«
»Ich habe mein Quantum intus«, sagte er. »Geh ruhig, wenn du willst. Mach dir einen netten Abend.«
Sie fand, seine Großspurigkeit klang traurig und vorgetäuscht. Er musste sie tanzen gesehen haben. Denn sonst hätte er gefragt: »Was hast du denn mit deinem Gesicht angestellt?«
»Ich warte lieber auf dich«, sagte sie.
Er sah stirnrunzelnd das Baby an und hielt die Flasche schräg.
»Fast leer«, sagte er. »Von mir aus können wir.«
»Ich muss nur mal auf die Toilette«, sagte Kath. Und im Badezimmer, wie sie es in Monicas Haus nicht anders erwartet hatte, fand sie einen reichlichen Vorrat an Kleenextüchern. Sie ließ das Wasser laufen, bis es heiß war, weichte und wischte, weichte und wischte, und von Zeit zu Zeit warf sie einen Klumpen schwarzer und violetter Tücher in die Toilette und spülte.
IV
Beim zweiten Gin Tonic, als Kent über die heutzutage horrenden, geradezu unanständigen Immobilienpreise in West Vancouver redete, sagte Sonje: »Weißt du, ich habe eine Theorie.«
»Diese Häuser, in denen wir mal gewohnt haben«, sagte er. »Die sind lange verkauft. Für ein Butterbrot, im Vergleich zu heute. Jetzt würde man wer weiß was für sie kriegen. Nur für das Grundstück und die Abrissgenehmigung.«
Was hatte sie für eine Theorie? Über die Immobilienpreise?
Nein. Über Cottar. Sie glaubte nicht, dass er tot war.
»Anfangs natürlich schon«, sagte sie. »Es kam mir nie in den Sinn, daran zu zweifeln. Und dann bin ich plötzlich aufgewacht und habe gesehen, dass es nicht unbedingt zu stimmen brauchte. Es brauchte überhaupt nicht zu stimmen.«
Bedenke die Umstände, sagte sie. Ein Arzt hatte ihr geschrieben. Aus Jakarta. Das heißt, der Mann, der ihr schrieb, behauptete, Arzt zu sein. Er schrieb, dass Cottar gestorben war, und woran er gestorben war, er benutzte einen medizinischen Fachausdruck, den sie vergessen hatte. Jedenfalls war es eine ansteckende Krankheit. Aber woher wusste sie, dass dieser Mann wirklich Arzt war? Oder selbst wenn er vielleicht Arzt war, woher wusste sie, dass er die Wahrheit geschrieben hatte? Es wäre für Cottar nicht schwer gewesen, einen Arzt kennenzulernen. Sich mit ihm anzufreunden. Cottar hatte alle möglichen Freunde.
»Oder ihn sogar dafür zu bezahlen«, sagte sie. »Das ist auch nicht außerhalb des Möglichen.«
Kent fragte: »Warum sollte er so was tun?«
»Er wäre nicht der erste Arzt, der so was getan hat. Vielleicht brauchte er das Geld für ein Armenkrankenhaus, woher sollen wir das wissen? Vielleicht wollte er es einfach für sich selbst. Ärzte sind keine Heiligen.«
»Nein«, sagte Kent. »Ich meinte Cottar. Warum sollte Cottar das tun? Und hatte er überhaupt Geld?«
»Nein. Er selbst hatte keins, aber – ich weiß nicht. Es ist sowieso nur eine Hypothese. Das Geld. Und ich war hier, weißt du. Ich war hier, um für seine Mutter zu sorgen. An seiner Mutter hing er wirklich. Er wusste, ich würde sie nie im Stich lassen. Also war das geregelt.
Und das war es wirklich«, sagte sie. »Ich mochte Delia sehr. Sie war mir keine Last. Ich habe mich vielleicht wirklich besser dazu geeignet, für sie zu sorgen, als mit Cottar verheiratet zu sein. Und weißt du, etwas Merkwürdiges. Delia dachte dasselbe wie ich. Über Cottar. Sie hatte denselben Verdacht. Und sie hat nie mit mir darüber gesprochen. Ich habe ihr auch nie etwas gesagt. Jede dachte, es würde der anderen das Herz brechen. Dann eines Abends, gar nicht lange, bevor sie – gehen musste, habe ich ihr einen Krimi vorgelesen, der in Hongkong spielte, und sie sagte: ›Da ist Cottar jetzt vielleicht. In Hongkong.‹
Sie sagte, hoffentlich hätte sie mich nicht erschreckt. Dann habe ich ihr erzählt, was ich die ganze Zeit gedacht hatte, und sie hat gelacht. Wir haben beide gelacht. Man sollte erwarten, dass es eine alte Mutter todtraurig macht, davon zu reden, dass ihr einziges Kind auf und davon ist und sie verlassen hat, aber nein. Vielleicht sind alte Leute gar nicht so. Sehr alte Leute. Sie werden nicht
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