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Die Liebe einer Frau

Die Liebe einer Frau

Titel: Die Liebe einer Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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Erinnerung geblieben als alles andere in der Wohnung. Und kein Wunder. Im vollen Taumel unseres Liebeslebens und im Nachhall seines Höhepunkts hatte ich den Stoff vor Augen, und so verband er sich in meinen Gedanken mit dem, was mir am Verheiratetsein gefiel – der Belohnung, für die ich die unvorhergesehene Beleidigung erduldete, die kleine Braut zu sein, und auch die eigentümliche Drohung, die von einer Esszimmervitrine ausging.
    Chess und ich kamen beide aus Familien, in denen Sex vor der Ehe als verwerflich und unverzeihlich galt und Sex in der Ehe nie erwähnt wurde und offenbar bald in Vergessenheit geriet. Wir standen unmittelbar am Ende der Zeit, die diese Dinge so sah, auch wenn wir das nicht wussten. Als Chess’ Mutter Kondome in seinem Koffer fand, ging sie weinend zu seinem Vater. (Chess sagte, dass sie in dem Lager verteilt worden waren, in dem er seine von der Universität vorgeschriebene Militärausbildung absolviert hatte, was stimmte, und dass er sie vollständig vergessen hatte, was gelogen war.) Wir fanden es deshalb ganz wunderbar, eine eigene Wohnung zu haben und ein eigenes Bett, in dem wir es treiben konnten, wie wir wollten. Unser Beweggrund für diesen Schritt, wobei uns nie in den Sinn kam, dass Ältere – unsere Mütter und Väter, unsere Tanten und Onkel – denselben Beweggrund gehabt haben könnten, war Lust. Was die Älteren in unseren Augen beherrscht hatte, war der Trieb zu Häusern, Grundbesitz, Motorrasenmähern, Tiefkühltruhen und gemauerten Terrassen. Und natürlich, was die Frauen anbelangte, zu Babys. Alles Dinge, so dachten wir, für oder gegen die wir uns in Zukunft entscheiden konnten. Uns kam nie der Gedanke, dass sie uns unausweichlich widerfahren würden, wie das Alter oder das Wetter.
    Und wenn ich es recht bedenke, dann war es auch nicht so. Nichts widerfuhr uns ohne unsere Entscheidung. Nicht einmal meine Schwangerschaft. Wir riskierten sie, einfach um auszuprobieren, ob wir wirklich erwachsen waren, ob sie wirklich eintreten würde.
    Meine andere Beschäftigung hinter dem Vorhang war Lesen. Ich las Bücher, die ich mir aus der Stadtbücherei von Kitsilano ein paar Querstraßen weiter holte. Und wenn ich aufschaute aus dem aufgewühlten Zustand des Staunens, den ein Buch mir bringen konnte, dem Schwindelgefühl heruntergeschlungener Reichtümer, dann waren es die Streifen, die ich sah. Und nicht nur die Personen, die Geschichte, ja selbst die Atmosphäre des Buches verband sich mit den unnatürlichen Blumen und floss dahin in dem dunkelroten Strom oder dem düsteren Grün. Ich las die schwereren Bücher, deren Titel mir bereits vertraut waren und wie Zauberformeln klangen – ich versuchte sogar,
Die Verlobte
von Sir Walter Scott zu lesen –, und zwischen diesen Lehrgängen las ich die Romane von Aldous Huxley und Henry Green, und
Zum Leuchtturm
und
Chéris Ende
und
Der Tod des Herzens
. Ich fraß eins nach dem anderen in mich hinein, ohne Vorlieben zu entwickeln, überließ mich jedem von neuem, wie bei den Büchern, die ich in meiner Kindheit gelesen hatte. Ich war immer noch in jenem Stadium gierigen Hungers, einer Gefräßigkeit, die an Qual grenzte.
    Aber seit meiner Kindheit kam noch etwas hinzu – mein Drang, nicht nur Leserin zu sein, sondern auch Schriftstellerin zu werden. Ich kaufte ein Schulheft und versuchte zu schreiben – und schrieb auch, Seiten, die souverän begannen und dann verödeten, sodass ich sie herausreißen und schwer bestrafen musste, indem ich sie zusammenknüllte und in den Mülleimer warf. Ich tat das wieder und wieder, bis nur noch der Heftdeckel übrig war. Dann kaufte ich ein neues Schulheft und fing von vorn an. Derselbe Kreislauf – Erregung und Verzweiflung, Erregung und Verzweiflung. Es war, als hätte ich jede Woche insgeheim eine Schwangerschaft und eine Fehlgeburt.
    Allerdings nicht ganz geheim. Chess wusste, dass ich viel las und dass ich zu schreiben versuchte. Er redete es mir keineswegs aus. Er hielt es für etwas Vernünftiges, das ich durchaus lernen konnte. Es brauchte viel Übung, konnte aber gemeistert werden, wie Bridge oder Tennis. Dieses großmütige Vertrauen dankte ich ihm nicht. Es vergrößerte nur die Groteske meiner Misserfolge.
     
    Chess arbeitete bei einem Lebensmittelgroßhandel. Er hatte eigentlich Geschichtslehrer werden wollen, aber sein Vater hatte ihn überzeugt, dass die Schule nicht das Richtige war, um eine Frau zu ernähren und es zu etwas zu bringen. Sein Vater hatte ihm geholfen,

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