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Die Liebe einer Frau

Die Liebe einer Frau

Titel: Die Liebe einer Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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diesen Posten zu bekommen, ihm aber gleich gesagt, dass er, sobald er eingestellt war, keine Bevorzugung erwarten durfte. Das tat er auch nicht. Er ging aus dem Haus, bevor es hell wurde, in diesem ersten Winter unserer Ehe, und kam nach Einbruch der Dunkelheit heim. Er arbeitete hart und fragte nicht danach, ob die Arbeit, die er tat, mit Dingen zusammenhing, die ihn wirklich interessierten, oder ein Ziel hatte, das ihm einmal lohnend erschienen war. Kein Ziel, außer uns beide jenem Leben der Rasenmäher und Tiefkühltruhen näher zu bringen, mit dem wir unserer Überzeugung nach nichts im Sinn hatten. Vielleicht wunderte ich mich über seine Unterwerfung, falls ich darüber nachdachte. Seine fröhliche, man könnte fast sagen, ritterliche Unterwerfung.
    Aber schließlich, dachte ich, ist es das, was Männer tun.
     
    Ich ging aus dem Haus und tat mich auch nach Arbeit um. Wenn es nicht zu heftig regnete, ging ich zum Drugstore, kaufte eine Zeitung, las die Stellenanzeigen und trank dabei einen Kaffee. Dann machte ich mich, sogar bei Nieselregen, zu Fuß auf den Weg dahin, wo eine Kellnerin oder eine Verkäuferin oder eine Fabrikarbeiterin gesucht wurde – ganz egal, Hauptsache, man musste nicht Schreibmaschine schreiben können oder Erfahrung mitbringen. Wenn es inzwischen in Strömen goss, nahm ich den Bus. Chess sagte, dass ich immer mit dem Bus fahren und nicht laufen sollte, um Geld zu sparen. Während ich Geld sparte, sagte er, bekam ein anderes Mädchen den Job.
    Genau darauf aber schien ich es anzulegen. Ich war nie besonders traurig, wenn es sich so ergab. Manchmal gelangte ich an mein Ziel und blieb auf dem Bürgersteig stehen, betrachtete das Geschäft für Damenmoden mit seinen Spiegeln und seinen hellen Teppichböden oder sah zu, wie junge Frauen in ihrer Mittagspause aus der Firma gestöckelt kamen, die jemanden für die Registratur suchte. Ich ging nicht einmal hinein, denn ich wusste, meine Haare und meine Fingernägel und meine flachen, abgetretenen Schuhe sprachen gegen mich. Und die Fabriken schüchterten mich ebenso ein – ich hörte den Lärm der Maschinen in den Gebäuden, in denen Erfrischungsgetränke abgefüllt oder Weihnachtssterne zusammengenietet wurden, und ich sah die nackten Glühbirnen von den Bretterdecken hängen. Meine Fingernägel und meine flachen Absätze mochten dort keine Rolle spielen, aber meine Ungeschicktheit und handwerkliche Blödheit würden mir Beschimpfungen und Flüche eintragen (über den Lärm der Maschinen hinweg hörte ich auch gebrüllte Zurechtweisungen). Ich würde mich blamieren und rausgeschmissen werden. Ich hielt mich nicht einmal für fähig, zu lernen, wie man eine Registrierkasse bediente. Das sagte ich auch dem Geschäftsführer eines Restaurants, der tatsächlich in Erwägung zu ziehen schien, mich einzustellen. »Meinen Sie, Sie können sich das aneignen?«, fragte er, und ich sagte nein. Er sah mich an, als hätte er noch nie im Leben ein solches Eingeständnis gehört. Aber ich sprach die Wahrheit. Ich meinte nicht, mir irgendetwas aneignen zu können, nicht auf die Schnelle und nicht unter vielen Augen. Ich würde nur versteinern. Das Einzige, was ich mir ohne Mühe aneignen konnte, waren solche Dinge wie die Verwicklungen des Dreißigjährigen Krieges.
    Die Wahrheit ist natürlich, dass ich es nicht nötig hatte. Chess sorgte für mich, in unserem sehr bescheidenen Rahmen. Ich brauchte mich nicht in die Welt hinauszustürzen, weil er es getan hatte. Männer mussten das tun.
    Ich dachte, dass ich vielleicht die Arbeit in der Stadtbücherei schaffen konnte, also fragte ich dort, obwohl sie nicht annonciert hatten. Eine Frau setzte meinen Namen auf eine Liste. Sie war höflich, machte mir aber keine Hoffnung. Dann ging ich in Buchhandlungen, wobei ich mir die aussuchte, die so aussahen, als hätten sie keine Registrierkasse. Je leerer und unordentlicher, desto besser. Die Besitzer rauchten oder dösten hinterm Ladentisch, und in den Antiquariaten roch es oft nach Katze.
    »Im Winter ist bei uns nicht genug los«, sagten sie.
    Eine Frau sagte, ich könnte ja im Frühling wiederkommen.
    »Obwohl dann meistens auch nicht viel los ist.«
     
    Der Winter in Vancouver war anders als alle Winter, die ich je erlebt hatte. Kein Schnee, nicht einmal ein richtig kalter Wind. Mitten am Tag roch es im Hafenviertel nach verbranntem Zucker – ich glaube, das hatte etwas mit den Oberleitungen der Busse zu tun. Ich ging die Hastings Street entlang, auf der keine

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