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Die Liebe einer Frau

Die Liebe einer Frau

Titel: Die Liebe einer Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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Erstes an, als müssten Sie zur Arbeit, frisieren Sie sich und legen Sie Make-up auf« – sie hatte mich mehr als einmal im Morgenmantel erwischt –, »und dann können Sie sich immer eine Schürze umbinden, wenn Sie die Wäsche machen müssen oder etwas backen. Das ist gut für Ihre Moral.«
    Und haben Sie immer Gebäck parat für den Fall, dass jemand vorbeikommt. (Soweit ich wusste, erhielt sie außer von mir nie Besuch, und man konnte schwerlich sagen, ich sei vorbeigekommen.) Und servieren Sie den Kaffee nie in Bechern.«
    Das wurde nicht so unverblümt gesagt. Es hieß »Ich nehme immer –« oder »Ich habe immer gern –« oder »Ich finde es netter, wenn –«
    »Auch als ich fernab von jeder Zivilisation lebte, habe ich immer gern –« Mein Gähnzwang ließ für einen Augenblick nach. Wo hatte sie fernab von jeder Zivilisation gelebt? Und wann?
    »Ach, weiter oben an der Küste«, sagte sie. »Ich war früher auch mal eine Braut. Ich habe jahrelang da oben gelebt. Union Bay. Aber so unzivilisiert war es da gar nicht. Cortes Island.«
    Ich fragte, wo das war, und sie sagte: »Ach, weiter da oben.«
    »Das muss interessant gewesen sein«, sagte ich.
    »Ach, interessant«, sagte sie. »Wenn Sie Bären interessant finden. Wenn Sie Pumas interessant finden. Mir persönlich ist ein bisschen Zivilisation lieber.«
    Eine zweiflügelige, eichene Schiebetür trennte das Esszimmer vom Wohnzimmer. Sie stand immer ein Stück auf, sodass Mrs. Gorrie von ihrem Ende des Tisches Mr. Gorrie im Auge behalten konnte, der in seinem Ruhesessel am Wohnzimmerfenster saß. Sie sprach von ihm als ihrem Mann im Rollstuhl, dabei saß er nur im Rollstuhl, wenn sie mit ihm an die frische Luft ging. Sie hatte keinen Fernsehapparat – das Fernsehen war zu der Zeit fast noch eine Neuheit. Mr. Gorrie beobachtete die Straße und den Kitsilano-Park auf der anderen Straßenseite und den Burrard Inlet dahinter. Er schaffte es allein ins Badezimmer, in der einen Hand einen Krückstock, mit der anderen hielt er sich an Stuhllehnen fest oder tappte an den Wänden entlang. Sobald er es erreicht hatte, kam er zurecht, obwohl er lange brauchte. Und Mrs. Gorrie sagte, dass es manchmal etwas aufzuwischen gab.
    Alles, was ich für gewöhnlich von Mr. Gorrie zu sehen bekam, war ein auf dem hellgrünen Ruhesessel ausgestrecktes Hosenbein. Ein- oder zweimal musste er sich ins Badezimmer schleppen, während ich da war. Ein großer Mann – großer Kopf, breite Schultern, schwere Knochen.
    Ich sah ihm nicht ins Gesicht. Menschen, die ein Schlaganfall oder eine Krankheit zu Krüppeln gemacht hatte, waren für mich ein böses Omen, eine rüde Mahnung. Es war nicht der Anblick versagender Gliedmaßen oder anderer körperlicher Spuren ihres schrecklichen Schicksals, den ich meiden musste – es waren ihre Augen.
    Er sah mich, glaube ich, auch nicht an, obwohl Mrs. Gorrie ihm zurief, dass ich von unten zu Besuch war. Er machte ein brummelndes Geräusch, vielleicht das Äußerste, was er zustande brachte, ob nun zur Begrüßung oder zur Verabschiedung.
     
    Unsere Wohnung hatte zweieinhalb Zimmer. Wir hatten sie möbliert gemietet, was praktisch hieß, sie war halb möbliert, mit Zeug, das sonst auf dem Müll gelandet wäre. Ich erinnere mich an den Fußboden im Wohnzimmer, der mit übriggebliebenen Linoleumquadraten und -rechtecken ausgelegt war – verschiedene Farben und Muster durcheinandergewürfelt und mit Metallklammern zusammengeheftet wie ein verrückter Quilt. Und an den Gasherd in der Küche, der mit Vierteldollar-Münzen gefüttert werden musste. Unser Bett stand in einem Alkoven, der von der Küche abging – es passte so knapp in den Alkoven, dass man am Fußende hineinklettern musste. Chess hatte gelesen, dass Haremsdamen auf diese Weise ins Bett des Sultans kommen mussten, zuerst hatten sie seine Füße anzubeten, und dann durften sie hochkrabbeln und seinen übrigen Körperteilen die Ehre erweisen. Also spielten wir manchmal dieses Spiel.
    Ein Vorhang, der immer geschlossen blieb, hing vor dem Fußende des Bettes, um den Alkoven von der Küche abzutrennen. Er bestand eigentlich aus einer alten Tagesdecke, einem glatten, mit Fransen besetzten Tuch, das auf der einen Seite ein gelbliches Hellbraun zeigte, mit einem Muster aus weinroten Rosen und grünem Laub, und auf der anderen, dem Bett zugewandten, rote und grüne Streifen mit geisterhaften Blüten und Blättern in der hellbraunen Farbe. Dieser Vorhang ist mir lebhafter in

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