Die Liebe einer Frau
telefonierte.) Aber zu mir sagte sie: »Also ich weiß nicht, ich muss immer denken, was das für ein Anblick ist, wenn ihr das Eis übers Gesicht läuft. Da machen doch alle Leute Stielaugen.«
Sie sagte, wenn sie Mr. Gorrie in seinem Rollstuhl ausfuhr, schauten die Leute auch (Mr. Gorrie hatte einen Schlaganfall gehabt), aber das war etwas anderes, denn außerhalb des Hauses rührte er sich nicht und gab auch keine Geräusche von sich, und sie achtete immer darauf, dass er manierlich aussah. Wohingegen Irene sich lümmelte und laut lallte. Das arme Ding konnte ja nichts dafür.
Mrs. Cornish führte was im Schilde, sagte Mrs. Gorrie. Wer sollte sich denn um das verkrüppelte Mädchen kümmern, wenn sie mal nicht mehr war?
»Es müsste ein Gesetz geben, dass Gesunde so jemanden nicht heiraten dürfen, aber bisher gibt es keins.«
Wenn Mrs. Gorrie mich bat, zum Kaffee heraufzukommen, mochte ich nie gehen. Ich war im Keller mit meinem eigenen Leben beschäftigt. Manchmal, wenn sie bei mir anklopfte, gab ich vor, nicht zu Hause zu sein. Aber dafür musste ich alle Lampen ausknipsen und die Tür abschließen, sobald ich sie herunterkommen hörte, und dann musste ich mucksmäuschenstill sein, während sie mit den Fingernägeln an die Tür trommelte und meinen Namen trällerte. Außerdem musste ich mich anschließend mindestens eine Stunde lang sehr leise verhalten und durfte die Toilettenspülung nicht betätigen. Wenn ich sagte, dass ich keine Zeit hatte, dass ich zu tun hatte, lachte sie und fragte: »Was denn?«
»Briefe schreiben«, sagte ich.
»Immerzu Briefe schreiben«, sagte sie. »Sie haben wohl Heimweh?«
Ihre Augenbrauen waren rosa – eine Abwandlung vom Rosarot ihrer Haare. Ich hielt die Haarfarbe für unnatürlich, aber wie konnte sie sich die Augenbrauen gefärbt haben? Ihr Gesicht war schmal, stark geschminkt und lebhaft, ihre Zähne groß und glänzend. Ihr Hunger nach Freundlichkeit, nach Gesellschaft nahm keine Rücksicht auf Widerstand. Am allerersten Morgen, an dem Chess mich in die Wohnung brachte, nachdem er mich vom Zug abgeholt hatte, klopfte sie mit einem Teller Kekse und diesem heißhungrigen Lächeln an unsere Tür. Ich hatte von der Reise immer noch den Hut auf, und Chess wurde dabei unterbrochen, an meinem Hüfthalter zu ziehen. Die Kekse waren hart und trocken und zur Feier meines Brautstands mit hellrosa Zuckerguss überzogen. Chess sprach barsch mit ihr. Er musste innerhalb von dreißig Minuten wieder ins Büro, und nachdem er sie hinauskomplimentiert hatte, blieb keine Zeit mehr, um das Begonnene fortzusetzen. Stattdessen aß er einen Keks nach dem anderen und beschwerte sich, dass sie wie Sägemehl schmeckten.
»Ihr Mann ist so ernst«, sagte sie oft zu mir. »Ich muss immer lachen, er schaut mich so furchtbar ernst an, wenn ich ihn kommen und gehen sehe. Ich möchte ihm immer sagen, er soll’s nicht so schwernehmen, er trägt nicht die Welt auf den Schultern.«
Manchmal musste ich ihr nach oben folgen, mich von meinem Buch losreißen oder von dem Absatz, den ich schrieb. Wir saßen an ihrem Esszimmertisch. Eine Spitzendecke lag darauf, und ein achteckiger Spiegel verdoppelte einen Keramikschwan. Wir tranken Kaffee aus dünnen Porzellantassen und aßen von dazu passenden Tellerchen (mehr dieser Kekse oder klebrige Rosinentörtchen oder fettige Teekuchen) und führten winzige, bestickte Servietten an den Mund, um die Krümel abzuwischen. Ich saß der Vitrine gegenüber, in der alle guten Gläser aufgereiht standen, die Paare der Zuckerdosen und Sahnekännchen, der Salz- und Pfefferstreuer, die zu zierlich oder kostbar für den täglichen Gebrauch waren, ferner Hyanzinthengläser, eine Teekanne in Gestalt einer strohgedeckten Bauernkate und lilienförmige Kerzenständer. Einmal im Monat nahm Mrs. Gorrie sich die Vitrine vor und wusch alles ab. Erzählte sie mir. Sie erzählte mir Dinge, die mit meiner Zukunft zu tun hatten, mit dem Haus und dem Leben, das ich in ihrer Vorstellung einmal haben würde, und je mehr sie redete, desto schwerer spürte ich ein eisernes Gewicht auf den Gliedern, desto dringender wollte ich mitten am Vormittag gähnen und gähnen, davonkriechen und mich verstecken und schlafen. Doch laut bewunderte ich alles. Den Inhalt der Vitrine, Mrs. Gorries Haushaltsführung, die sorgsam kombinierten Sachen, die sie jeden Morgen anzog. Die Röcke und Pullover in Rosa- oder Rottönen, die darauf abgestimmten Schals aus Kunstseide.
»Ziehen Sie sich immer als
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