Die Liebe in den Zeiten der Cholera
in Maschineschreiben zu geben. Doch er hatte etwas gegen methodische Lehrprogramme, seitdem Lothario Thugut ihm hatte beibringen wollen, nach Noten Geige zu spielen, und ihm mit der Drohung zugesetzt hatte, er werde mindestens ein Jahr für die Anfangsgründe brauchen, fünf, um den Ansprüchen eines Berufsorchesters zu genügen, und sein Leben lang sechs Stunden täglich üben müssen, um gut zu spielen.
Florentino Ariza aber hatte bei seiner Mutter erreicht, daß sie ihm eine Geige für Blinde kaufte, und es mit den fünf Grundregeln, die ihm Lothario Thugut erklärte, so weit gebracht, daß er es vor Ablauf eines Jahres wagen konnte, im Chor der Kathedrale zu spielen und Fermina Daza, je nach Windrichtung, vom Armenfriedhof aus Ständchen zu bringen. Wenn ihm das als Zwanzigjährigem mit etwas so Schwierigem wie einer Geige gelungen war, so sah er nicht ein, warum es ihm nicht auch im Alter von sechsundsiebzig Jahren mit einem Ein-Finger-Instrument wie der Schreibmaschine möglich sein sollte.
Er behielt recht. Er brauchte drei Tage, um sich die Anordnung der Buchstaben auf der Tastatur einzuprägen, weitere sechs, um gleichzeitig tippen und denken zu lernen, und noch einmal drei, um seinen ersten Brief fehlerfrei zu Ende zu bringen, nachdem er ein halbes Ries Papier zerrissen hatte. Er wählte eine förmliche Anrede: Señora, und unterzeichnete wie bei den parfümierten Billetts seiner Jugend mit seinen Initialen. Er schickte den Brief per Post in einem Umschlag mit Trauerrand, wie es sich bei einer kürzlich verwitweten Frau gehörte, und schrieb keinen Absender auf die Rückseite.
Es war ein sechsseitiger Brief, der nichts mit irgendeinem anderen jemals von ihm geschriebenen gemein hatte. Er hatte weder den Ton noch den Stil oder den rhetorischen Schwung der ersten Liebesjahre und war vom Inhalt her so vernünftig und gemessen, daß der Duft einer Gardenie ein Stilbruch gewesen wäre. In gewisser Hinsicht war das Schreiben die gelungenste Annäherung an die Geschäftsbriefe, die ihm nie geglückt waren. In späteren Jahren sollte ein persönlicher Brief, der mit der Maschine geschrieben war, fast als Beleidigung angesehen werden, damals aber war die Schreibmaschine noch ein Bürotier ohne eigene Ethik, dessen Domestizierung für den Privatgebrauch die Benimmbücher nicht vorgesehen hatten. Dieser Versuch wirkte vielmehr als ein Zeichen kühner Modernität, und so mußte es auch Fermina Daza gesehen haben, da sie den zweiten Brief, den sie Florentino Ariza schrieb, nachdem sie hundertvierzig von ihm erhalten hatte, damit begann, sich für die Unebenheiten ihrer Schrift zu entschuldigen, sie verfüge eben nicht über fortschrittlichere Schreibmittel als die Stahlfeder. Florentino Ariza war erst gar nicht auf ihren ungeheuerlichen Brief eingegangen, sondern versuchte es von Anfang an mit einer anderen Methode der Verführung, ohne die vergangene Liebe oder die Vergangenheit auch nur zu erwähnen: Schlußstrich und neue Rechnung. Jetzt handelte es sich vielmehr um ausführliche Betrachtungen über das Leben, die auf seinen Anschauungen und Erfahrungen das Verhältnis zwischen Mann und Frau betreffend gründeten, über das er einmal als Ergänzung zu seinem Sekretär der Verliebten hatte schreiben wollen. Nur daß er diese Betrachtungen jetzt in den patriarchalischen Stil von Alterserinnerungen kleidete, damit ihnen nicht allzu sehr anzumerken wäre, daß sie in Wirklichkeit ein Zeugnis der Liebe waren. Zuvor schrieb er viele Entwürfe in der alten Art und brauchte länger dazu, sie mit kühlem Kopf durchzulesen, als sie ins Feuer zu werfen. Er wußte, daß jede Unbedachtheit in der Form und die kleinste nostalgische Leichtfertigkeit den Groll der Vergangenheit in ihrem Herzen aufwühlen konnte, und obwohl er sich darauf eingestellt hatte, daß sie ihm vielleicht hundert Briefe zurückschicken würde, bevor sie den Mut fand, den ersten zu öffnen, wünschte er doch, daß es nicht ein einziges Mal geschähe. Also bedachte er auch noch das kleinste Detail, als ginge es um die Entscheidungsschlacht: Alles mußte anders sein, um neue Erwartungen, neue Anteilnahme und neue Hoffnungen in einer Frau zu wecken, die schon ein ganzes erfülltes Leben gelebt hatte. Es mußte eine unvernünftige Hoffnung sein, die ihr den nötigen Mut geben konnte, die Vorurteile einer Klasse abzuwerfen, die nicht die ihre gewesen, aber es mehr als jede andere geworden war. Er mußte sie lehren, an die Liebe als an einen Zustand der Gnade zu
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