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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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anfangen sollte. Er überließ sie der Obhut der Dienstmädchen, die sie nachmittags ins Kino, zu den Festen im Kinderpark oder zu Wohltätigkeitsbazaren führen sollten, oder er dachte sich Sonntagsausflüge mit Schulkameradinnen für sie aus, um sie nicht in sein Paradies hinter den Büros mitnehmen zu müssen, wohin sie, seitdem er sie das erste Mal dorthin geführt hatte, immer wieder drängte. Im Sternennebel seiner neuen Hoffnung war ihm nicht klargeworden, daß Frauen innerhalb von drei Tagen erwachsen werden können, und seitdem er sie vom Motorsegler aus Puerto Padre abgeholt hatte, waren drei Jahre vergangen. Sosehr er auch versuchte, ihr die Umstellung zu versüßen, für sie war es brutal, und sie konnte sich die Gründe dafür nicht erklären. An dem Tag, als er ihr in der Eisdiele gesagt hatte, daß er heiraten wolle, was der Wahrheit entsprach, hatte sie für einen Augenblick Panik ergriffen, später aber war ihr diese Möglichkeit so absurd erschienen, daß sie das alles vergaß. Sie mußte jedoch bald einsehen, daß er sich zumindest so verhielt, als ob es stimme, und unerklärliche Ausweichmanöver vollführte, als sei er nicht sechzig Jahre älter, sondern sechzig Jahre jünger als sie. An einem Samstagnachmittag überraschte Florentino Ariza sie dabei, wie sie in seinem Schlafzimmer versuchte, Maschine zu schreiben. Sie stellte sich recht geschickt an, da sie in der Schule Unterricht im Tippen hatte. Sie hatte über eine halbe Seite automatisch vollgeschrieben, doch ließen sich unschwer aus dem einen oder anderen Absatz einzelne Sätze herauslösen, die etwas über ihren Seelenzustand verrieten. Florentino Ariza beugte sich über ihre Schulter, um mitlesen zu können. Seine Manneswärme, sein unregelmäßiger Atem, der Duft seiner Kleidung, der auch der ihres Kopfkissens war, all das verwirrte sie. Sie war nicht mehr das frischangekommene kleine Mädchen, das er Stück für Stück mit Elterntricks entkleidete: erst mal diese Schühchen für den Teddy und dann das Hemdchen hier für das Hundchen und die geblümten Höschen für das Häschen und jetzt ein Küßchen für Papas liebe Muschi. Nein, sie war nun eine gestandene Frau, die gern selbst die Initiative ergriff. Sie schrieb nur mit einem Finger der rechten Hand weiter und tastete mit der linken Hand nach seinem Bein, suchte und fand ihn, fühlte ihn aufleben, wachsen, vor Verlangen stöhnen, und sein Altmänneratem wurde steinig und schwer. Sie kannte ihn: Dies war der Punkt, an dem er die Beherrschung zu verlieren begann, sein Verstand schmolz dahin, und er war ihr ausgeliefert, fand keinen Weg mehr zurück, bevor er nicht bis zum Ende vorgedrungen war. Wie einen armen Blinden von der Straße führte sie ihn an der Hand zum Bett und zerlegte ihn Stück für Stück mit hinterlistiger Zärtlichkeit, fügte Salz nach ihrem Geschmack hinzu, Pfeffer, Nelken, eine Knoblauchzehe, gehackte Zwiebeln, den Saft einer Zitrone, ein Lorbeerblatt, bis sie ihn gut gewürzt in der Reine liegen hatte und der Backofen auf die richtige Temperatur vorgeheizt war. Es war niemand im Haus. Die Dienstmädchen hatten Ausgang, und die Maurer und Schreiner, die das Haus renovierten, arbeiteten nicht am Samstag. Die beiden hatten die ganze Welt für sich allein. Am Rande des Abgrunds aber entkam er der Ekstase, schob ihre Hand beiseite, richtete sich auf und sagte mit bebender Stimme: »Vorsicht, wir haben keine Gummis.« Sie blieb noch eine Weile auf dem Rücken liegend im Bett und dachte nach, und als sie gut eine Stunde vor der Zeit ins Internat zurückkehrte, war sie über die Tränen hinweg, hatte dafür aber Geruchssinn und Krallen geschärft, um die verborgene Häsin aufzuspüren, die ihr das Leben verdorben hatte. Florentino Ariza aber verfiel wieder einmal einem männlichen Irrtum: Er dachte, sie habe die Sinnlosigkeit ihrer Absichten eingesehen und beschlossen, ihn zu vergessen.
    Er war ganz mit sich beschäftigt. Sechs Monate waren ohne das geringste Zeichen vergangen, und er wälzte sich, verloren in der Wüste einer anderen Schlaflosigkeit, bis zum Morgen im Bett. Er dachte, Fermina Daza könne den ersten Brief wegen seines unschuldigen Äußeren geöffnet, die ihr aus früheren Briefen bekannten Intitialen erkannt und den Brief mit dem Müll verbrannt haben, ohne sich auch nur die Mühe gemacht zu haben, die Blätter zu zerreißen. Womöglich hatte ihr schon der Anblick der folgenden Briefe genügt, um mit ihnen ebenso zu verfahren, ohne sie erst zu

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