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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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falschen Zeitpunkt lieben müsse wie er sie. Sie verstand ihn nun besser als zu der Zeit, als er noch lebte, sie verstand seinen Liebeshunger, sein dringendes Bedürfnis, in ihr die Sicherheit zu finden, die sein öffentliches Auftreten bestimmte und die er in Wirklichkeit nie gehabt hatte. Eines Tages hatte sie ihn auf dem Gipfel der Verzweiflung angeschrien: »Merkst du denn gar nicht, wie unglücklich ich bin!« Er hatte, ohne sich aufzuregen, mit einer für ihn typischen Bewegung die Brille abgenommen, seine Frau mit dem klaren Wasser seiner kindlichen Augen überschwemmt und ihr mit einem einzigen Satz die ganze Last seines unerträglichen Wissens aufgehalst: »Du mußt immer daran denken, daß nicht Glück, sondern Beständigkeit entscheidend für eine gute Ehe ist.« In ihrer ersten Einsamkeit als Witwe wurde ihr klar, daß jener Satz nicht die kleinliche Drohung enthielt, die sie damals herausgehört harte, sondern der Stein der Weisen war, der ihnen beiden so viele glückliche Stunden ermöglicht hatte. Bei ihren zahlreichen Reisen durch die Welt hatte Fermina Daza alles, was ihr wegen seiner Neuheit auffiel, gekauft. Sie gehorchte dabei einem unmittelbaren Impuls, den ihr Mann gern rational zu erklären pflegte; es waren schöne und nützliche Dinge, solange sie in ihrer ursprünglichen Umgebung waren, in den Schaufenstern von Rom, Paris, London oder jenem New York im Charleston-Fieber, wo die Wolkenkratzer schon in die Höhe wuchsen, aber den Straußwalzern mit Zikadenbegleitung und der Herausforderung der Blumen bei 40 Grad im Schatten hielten sie nicht stand. Mit einem halben Dutzend sargähnlichen Schrankkoffern, riesig, aus lackiertem Metall mit verstärkten Kanten und Schlössern aus Messing, kehrte Fermina Daza jedesmal heim, Herrin und Gebieterin über die letzten Weltwunder, die jedoch ihren Preis in Gold nur in dem flüchtigen Augenblick wert waren, da sie jemand aus ihrer Welt hier zum ersten Mal sah. Denn dafür waren sie gekauft worden: damit die anderen sie ein einziges Mal sähen. Die Eitelkeit ihres Geltungsdrangs war ihr, lang bevor sie alt zu werden begann, bewußt geworden, und im Haus hörte man sie oft sagen: »Man muß diesen ganzen Krimskrams loswerden, der einem keinen Platz zum Leben läßt.« Doktor Urbino spottete über ihre zukunftslosen Vorsätze, denn er wußte, daß die befreiten Gebiete nur dazu da waren, wieder besetzt zu werden. Doch sie bestand darauf, weil tatsächlich auch kein einziger Gegenstand mehr Platz fand und es andererseits auch nirgendwo etwas gab, das wirklich zu gebrauchen gewesen wäre, wie etwa die Hemden, die an den Türklinken hingen, und die für europäische Winter gedachten Mäntel, die sich in den Küchenschränken stauten. Wenn sie einmal an einem Morgen voller Unternehmungslust aufgestanden war, nahm sie die Kleiderschränke in Angriff, leerte die Koffer, schleifte die Speicher und führte eine Schlacht gegen den Berg Kleider, in denen sie schon zu oft gesehen worden war, gegen die Hüte, die sie nie aufgesetzt hatte, weil es, als sie in Mode waren, keine Gelegenheit dazu gegeben hatte, gegen die Schuhe, von europäischen Künstlern denen nachempfunden, die Kaiserinnen zu ihrer Krönung getragen hatten, die hier aber von den jungen Damen verschmäht wurden, da sie genau denen glichen, die sich die Schwarzen als Hausschuhe auf dem Markt kauften. Den ganzen Vormittag über herrschte auf der Innenterrasse der Ausnahmezustand, und im Haus wurde das Atmen mühselig, weil von den Mottenkugeln beizende Schwaden aufstiegen. Doch wenige Stunden später kehrte wieder Ruhe ein, da sich Fermina Daza am Ende all der auf den Boden geworfenen Seide, der vielen Brokat- und Bortenreste, all der Blaufuchsschwänze erbarmte, die zum Scheiterhaufen verurteilt waren.
    »Es ist eine Sünde, so etwas zu verbrennen, wo es massenhaft Menschen gibt, die nicht einmal zu essen haben.« Also wurde die Verbrennung wieder aufgeschoben, die Sachen wechselten nur den Standort, von ihren privilegierten Plätzen wanderten sie in die ehemaligen Pferdeställe, die sich in Restelager verwandelten, während sich der befreite Raum, ganz wie Juvenal Urbino vorausgesagt hatte, wieder zu füllen begann, bald drängten sich dort die Gegenstände, die einen Augenblick lang lebten, um dann in den Schränken zu sterben: bis zur nächsten Verbrennung. Sie sagte: »Es müßte etwas für die Sachen erfunden werden, die zu nichts zu gebrauchen sind, die man aber auch nicht wegwerfen kann.« So war

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