Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
Vom Netzwerk:
seltsame Neigungen, dies alles erneut im Brustton der Überzeugung vortragen hörte, konnte sie dem Drang nicht widerstehen, die Dinge ins Lot zu bringen. Sie erzählte ihr, daß sie Florentino Ariza von Kindheit an kenne. Sie erinnerte daran, daß seine Mutter ein Kurzwarengeschäft in der Calle de las Ventanas gehabt und außerdem alte Hemden und Laken aufgekauft und aufgezupft habe, um sie während der Bürgerkriege als Watteersatz zu verkaufen. Sie schloß mit Nachdruck: »Das sind durch und durch anständige Leute.« Sie sagte das mit solcher Vehemenz, daß Lucrecia einen Rückzieher machte: »Von mir wird schließlich Ähnliches behauptet.« Fermina Daza kam nicht darauf, sich zu fragen, warum sie einen Mann, der nur ein Schatten in ihrem Leben gewesen war, so leidenschaftlich verteidigte. Sie dachte auch weiterhin an ihn, vor allem, wenn die Post keinen neuen Brief von ihm brachte. Zwei Wochen des Schweigens waren vergangen, als eines der Dienstmädchen sie von der Siesta mit einem alarmierenden Flüstern aufweckte.
    »Señora«, sagte sie, »Don Florentino ist da.« Er war da. Fermina Dazas erste Reaktion war Panik. Sie dachte zunächst: Nein, er solle an einem anderen Tag zu einer passenderen Zeit wiederkommen, es gäbe nichts zu besprechen. Doch sie faßte sich sofort und befahl, ihn in den Salon führen zu lassen und ihm einen Kaffee anzubieten, während sie sich zurechtmachte, um ihn zu empfangen. Unter der höllischen Drei-Uhr-Mittagssonne glühend, wartete Florentino Ariza vor der Eingangstür, hatte aber die Zügel fest in der Hand. Er war darauf vorbereitet gewesen, nicht empfangen zu werden, und sei es mit einer liebenswürdigen Ausrede, und diese Gewißheit hatte ihn die Ruhe bewahren lassen. Doch die Nachricht von ihrer Entscheidung erschütterte ihn bis ins Mark, und als er in den kühlen Schatten des Salons trat, blieb ihm keine Zeit, über das ihm widerfahrende Wunder nachzudenken, weil sich plötzlich in seinen Gedärmen eine Explosion schmerzhaften Schaums ausbreitete. Von der unseligen Erinnerung an den Vogelschiß auf seinem ersten Liebesbrief verfolgt, setzte er sich mit angehaltenem Atem und verharrte reglos im Dämmerlicht, während der erste Schauer des Schüttelfrosts abklang, und in diesem Augenblick war er bereit, jedes Unglück außer diesem unbilligen Mißgeschick hinzunehmen.
    Er kannte sich. Trotz seiner angeborenen Verstopfung hatte ihn sein Darm drei- oder viermal in seinem langen Leben in aller Öffentlichkeit verraten, und bei diesen drei oder vier Anlässen hatte er kapitulieren müssen. Nur bei jenen und ähnlichen dringlichen Gelegenheiten wurde ihm klar, wie wahr ein Spruch war, den er gern im Scherz wiederholte: »Ich glaube nicht an Gott, aber ich fürchte ihn.« Er hatte keine Zeit, den Spruch in Frage zu stellen: Er versuchte irgendein Gebet zu sprechen, aber ihm fiel keines ein. Als Kind hatte ihm ein anderer Junge ein paar magische Worte beigebracht, um einen Vogel mit einem Stein treffen zu können: »Hab acht, hab acht, treff ich nicht, dann kracht's.« Er hatte sie ausprobiert, als er zum ersten Mal mit einer neuen Schleuder ins Freie gezogen war, und der Vogel war getroffen heruntergefallen. In seiner Verwirrung schien ihm nun das eine mit dem anderen etwas zu tun zu haben, und er wiederholte die Formel mit der Inbrunst eines Gebets, sie hatte jedoch nicht die gleiche Wirkung. Eine spiralförmige Verschlingung in den Gedärmen hob ihn aus dem Sessel, der immer dichtere und schmerzhaftere Schaum in seinem Leib gab einen Klagelaut von sich, und Florentino Ariza war von kaltem Schweiß bedeckt. Das Mädchen, das ihm den Kaffee brachte, erschrak vor seinem totenbleichen Antlitz. Er stöhnte: »Es ist die Hitze.« Sie öffnete das Fenster und glaubte, ihm damit einen Gefallen zu tun, doch nun schien ihm die Nachmittagssonne voll ins Gesicht, so daß man das Fenster wieder schließen mußte. Er hatte eingesehen, daß er es keine Minute länger aushaken würde, als fast unsichtbar in der Dämmerung Fermina Daza auftauchte und erschrak, ihn in einem solchen Zustand zu sehen. »Sie können den Rock ablegen«, sagte sie. Mehr noch als die tödliche Verkrampfung hätte ihn geschmerzt, wenn sie das Gurgeln in seinen Eingeweiden gehört hätte. Es gelang ihm noch, einen kurzen Moment durchzustehen und ihr zu sagen, nein, er sei nur vorbeigekommen, um zu fragen, wann sie ihn empfangen könne. Noch im Stehen sagte sie verwirrt: »Sie sind ja nun schon da«, und forderte ihn

Weitere Kostenlose Bücher