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Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Die Liebe in den Zeiten der Cholera

Titel: Die Liebe in den Zeiten der Cholera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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es: Die Gier, mit der sich die Dinge in die Lebensräume fraßen, die Menschen zurückdrängten und einkesselten, beängstigte Fermina Daza solange, bis sie alles irgendwohin gepackt hatte, wo es nicht zu sehen war. Denn sie war nicht so ordentlich, wie man glaubte, sie hatte nur ihre eigene verzweifelte Methode, so zu scheinen: Sie versteckte die Unordnung. An dem Tag, als Juvenal Urbino starb, mußten sie die Hälfte des Arbeitszimmers ausräumen und alles in den Schlafzimmern stapeln, um für die Totenwache Platz zu schaffen.
    Mit dem Tod kam auch die Lösung ins Haus. Als Fermina Daza die Kleider ihres Mannes verbrannt hatte, merkte sie, daß ihr Puls dabei ruhig geblieben war, und so zündete sie derselben Eingebung folgend in Abständen erneut einen Scheiterhaufen an und warf alles hinein, das Alte und das Neue, ohne an den Neid der Reichen oder die Benachteiligung der hungernden Armen zu denken. Zuletzt ließ sie den Stamm des Mangobaums an der Wurzel fällen, so daß keine Spur mehr von dem Unglück zurückblieb, und verschenkte den lebenden Papagei an das neue Stadtmuseum. Erst da konnte sie wieder frei atmen: in einem Haus, wie sie es sich immer gewünscht hatte, weitläufig, bequem und ihr Eigentum.
    Ihre Tochter Ofelia blieb drei Monate bei ihr und kehrte dann nach New Orleans zurück. Der Sohn kam stets mit seiner Familie zum gemeinsamen Sonntagsessen und, wann immer es ihm möglich war, auch unter der Woche. Nachdem die tiefste Trauer überwunden war, besuchten die nächsten Freundinnen sie wieder, sie spielten vor dem kahlen Patio Karten, probierten neue Kochrezepte aus und hielten Fermina Daza über das geheime Leben der unersättlichen Welt auf dem Laufenden, die ohne sie weiter bestand. Zu den häufigsten Besucherinnen gehörte Lucrecia del Real del Obispo, eine Aristokratin von altem Schlag, mit der Fermina Daza immer eine gute Freundschaft verbunden hatte und die sich nach Juvenal Urbinos Tod enger an sie anschloß. Lucrecia del Real, die durch die Arthritis steif geworden war und ihren Lebenswandel bereute, lenkte sie damals nicht nur am besten ab, sondern holte sich auch Rat bei ihr für die bevorstehenden öffentlichen und geselligen Vorhaben in der Stadt, und so konnte Fermina Daza aus dem schützenden Schatten des Ehemanns heraustreten und sich nützlich fühlen. Dennoch wurde sie nie so sehr wie damals mit ihm identifiziert, man nahm ihr sogar den Mädchennamen, unter dem sie immer bekannt gewesen war, und sie wurde die Witwe Urbino.
    Es schien ihr selbst unfaßlich, doch je näher der erste Todestag ihres Mannes rückte, um so mehr war ihr, als trete sie in einen schattigen, kühlen und stillen Raum: in den Hain des Unabänderlichen. Damals und auch noch mehrere Monate später war ihr nicht voll bewußt, wie sehr ihr die brieflichen Betrachtungen von Florentino Ariza geholfen hatten, ihren inneren Frieden wiederzufinden. Sie erlaubten ihr nämlich -übertragen auf eigene Erfahrungen -, das eigene Leben zu verstehen und gelassen abzuwarten, was das Alter bringen würde. Die Begegnung bei der Gedenkmesse war eine willkommene Gelegenheit, Florentino Ariza zu verstehen zu geben, daß auch sie, dank seiner mutspendenden Briefe, bereit war, die Vergangenheit auszulöschen. Zwei Tage später erhielt sie einen ganz anderen Brief von ihm: Er hatte ihn mit der Hand auf Leinenpapier geschrieben und als Absender deutlich seinen vollständigen Namen auf den Umschlag gesetzt. In der feingeschwungenen Schrift der frühen Briefe und der alten lyrischen Grundeinstellung dankte er ihr nun mit ein paar einfachen Sätzen für ihre entgegenkommende Begrüßung in der Kathedrale. Noch mehrere Tage, nachdem sie den Brief gelesen hatte, dachte Fermina Daza mit neu erweckter Sehnsucht an ihn, hatte dabei aber ein derart reines Gewissen, daß sie Lucrecia del Real del Obispo, ohne daß es sich im Gespräch ergeben hätte, direkt fragte, ob sie Florentino Ariza, den Eigentümer der Flußdampfer, kenne. Lucrecia bejahte: »Er scheint ein verkommenes Subjekt zu sein.« Sie wiederholte das bekannte Gerücht, er habe nie etwas mit Frauen gehabt, obwohl er doch eine gute Partie gewesen sei, und daß er ein geheimes Kontor unterhalte, wohin er die Knaben mitnehme, die er nachts an den Kais verfolge. Fermina Daza kannte diese Legende, seit sie zurückdenken konnte, und hatte ihr nie Glauben geschenkt oder Bedeutung beigemessen. Doch als sie nun Lucrecia del Real del Obispo, von der es auch einmal geheißen hatte, sie habe

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