Die Liebe in den Zeiten der Cholera
Kleinhändler, die unter dem Ladentisch aus Europa hereingeschmuggelte schlüpfrige Waren aller Art verkauften, von obszönen Postkarten und anregenden Pomaden bis hin zu den berüchtigten katalanischen Präservativen mit Leguankämmen, die sich im entscheidenden Augenblick aufstellten, oder vorne mit Blütenknospen ausgestattet waren, deren Blätter sich je nach der Lust des Benutzers entfalteten. Fermina Daza, noch ungeübt im Umgang mit der Straße, trat auf der Suche nach linderndem Schatten vor der stechenden Elf-Uhr-Sonne in das Portal, ohne recht zu schauen, wohin sie ging. Sie tauchte in den hitzigen Rummel der Schuhputzer und Vogelhändler, der Kurpfuscher, freien Buchhändler und Marmeladenverkäuferinnen, die im Straßenlärm schreiend ihre süßen Pasten anpriesen: Ananas für die Juanas, Kokosnuß für jeden Kuß, Panela für Micaela. Unberührt von all dem Krach, blieb sie jedoch sofort gebannt vor einem Papierhändler stehen, der Zaubertinten vorführte: rote Tinte mit der Aura des Bluts, Tinten mit düsteren Schlieren für Beileidsbriefe, phosphoreszierende Tinten, die man im Dunkeln lesen konnte, unsichtbare Tinten, die sich erst im Lampenlicht zeigten. Sie hätte alle haben wollen, um mit Florentino Ariza ihre Spielchen zu treiben, er sollte vor ihrem Einfallsreichtum erschrecken, entschied sich jedoch nach mehreren Proben für ein Fläschchen Goldtinte. Dann ging sie zu den Zuckerbäckerinnen, die hinter ihren großen Glasgefäßen saßen, und kaufte, indem sie mit dem Finger auf das jeweilige Glas zeigte, da sie sich in dem Geschrei nicht verständlich machen konnte, sechs Stück von jeder Sorte: sechsmal Engelhaar, sechs Karamellschnitten, sechs Sesamwürfel, sechs Jukkaplätzchen, sechs Teufelshörnchen, sechs Zitronenröllchen, sechs Königinnenmakronen, sechs von diesem und sechs von jenem, sechs von allem, und warf es mit unwiderstehlicher Anmut in die Körbe des Dienstmädchens und beachtete dabei nicht die aufdringlichen Fliegenwolken auf dem Sirup, den andauernden Krach, den in der tödlichen Hitze ranzig wabernden Schweißdunst. Aus dem Zauberbann wurde sie von einer munteren Negerin gerissen, die, rund und schön und mit einem bunten Fetzen um den Kopf, ihr auf der Spitze eines Schlachtermessers einen Ananaskeil anbot. Sie nahm das Fruchtstück, steckte es sich in den Mund zum Kosten und ließ es mit einem in der Menschenmenge verlorenen Blick auf der Zunge zergehen, als sie wie angenagelt stehenblieb. In ihrem Rücken, ganz nah an ihrem Ohr, hatte sie, im Tumult nur für sie vernehmbar, die Stimme gehört: »Dies ist nicht der rechte Ort für eine bekränzte Göttin.«
Sie wendete den Kopf und sah zwei Handbreit vor ihren Augen jene anderen gefrorenen Augen, das bleiche Gesicht, die vor Angst versteinerten Lippen, genau wie beim ersten Mal, als er ihr im Gedränge der Christmette ebenso nah gewesen war. Anders als damals jedoch fühlte sie nicht die Erschütterung der Liebe, sondern stand vor einem Abgrund der Ernüchterung. In einem Augenblick enthüllte sich ihr das ganze Ausmaß ihres Selbstbetrugs, und voll Entsetzen fragte sie sich, wie ein so bösartiges Hirngespinst über so lange Zeit in ihr hatte wachsen können. Sie konnte gerade noch denken: »Lieber Gott, dieser arme Mann!« Florentino Ariza lächelte, versuchte etwas zu sagen, versuchte ihr zu folgen, doch sie strich ihn mit einer Handbewegung aus ihrem Leben. »Nein, bitte«, sagte sie zu ihm, »vergessen Sie es.« An jenem Nachmittag, während ihr Vater Siesta hielt, schickte sie ihm durch Gala Placidia einen Brief von zwei Zeilen: Heute, als ich Sie sah, habe ich begriffen, daß unsere Liebe nur eine Illusion war. Das Dienstmädchen brachte ihm auch seine Telegramme, seine Gedichte, seine getrockneten Kamelien zurück und bat ihn um die Rückgabe ihrer Briefe und Geschenke: das Gebetbuch der Tante Escolástica, die getrockneten Blattgerippe aus ihrem Herbarium, den Quadratzentimeter aus dem Gewand von Sankt Pedro Claver, die Heiligenmedaillen und den Zopf ihrer fünfzehn Jahre mit der Seidenschleife der Schuluniform. Am Rande des Wahnsinns, schrieb er ihr in den folgenden Tagen unzählige Briefe der Verzweiflung und belagerte damit das Dienstmädchen, das sich aber streng an die Anweisung hielt, nichts außer den zurückgeforderten Geschenken anzunehmen. Gala Placidia bestand so nachdrücklich darauf, daß Florentino Ariza alle aushändigte, bis auf den Zopf, den er nicht zurückgeben wollte, es sei denn Fermina Daza
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