Die Liebe in Grenzen
eine kleine Zeichnung mit Fotoecken eingeklebt, rechts stand ein kurzer Text, den ich auf den ersten Blick für ein Gedicht hielt:
Forelle blau aus den Lennauer Teichen,
eine Flasche Armand de Brignac aus dem Keller meines Vaters, beides geklaut,
würde ich gerne teilen:
mit dir.
Heute, ab 20.30 Uhr.
Um Antwort wird nicht gebeten. Komm einfach! Du weiÃt: Ich finde dich überall!
Auf der Zeichnung war wieder ich zu erkennen, diesmal immerhin angezogen: auf der Holzbank vor der Lennauer Bäckerei sitzend, das Gesicht der Sonne zugewandt, die Augen geschlossen, die Beine mit den zerlöcherten Turnschuhen an den FüÃen weit von mir gestreckt. Genau in dieser Haltung hatte ich in den vorangegangenen Tagen einige Male dort in der Morgensonne gesessen, wenn ich erst später zum Dienst musste und mir Zeit genug blieb, bei der freundlichen Bäckerin einen Kaffee zu trinken. Diese Viertelstunde in der Sonne hatte ich jedes Mal genossen, hatte dabei vor mich hingeträumt und dem Lärm gelauscht, den die Vögel in der Kastanie hinter der Backstube veranstalteten. Er musste mich dabei beobachtet haben, und zwar so ausgiebig, dass er die Zeichnung bis in kleinste Detail ausführen konnte. Jeder Ring an meinem Finger, jeder Riss in meiner Lederjacke, sogar das Pflaster, das ich nach einer Schnittverletzung um den Zeigefinger gewickelt hatte, war genauestens zu erkennen. Die Zeichnung musste demnach am Dienstag, Mittwoch oder Donnerstag entstanden sein, denn am Montag hatte ich mich geschnitten, und am Freitag hatte Carmen mich schon vor acht angerufen und gebeten, Ada zum Frauenarzt zu begleiten, da sie selbst eine Therapiesitzung um neun hatte und Ada nicht in der Verfassung war, den Termin allein bewältigen zu können. Im Wartezimmer der Ãrztin hatte ich versucht, beruhigend auf Ada einzuwirken, dabei hatte ich mir das Pflaster vom Finger gefummelt und in den Mülleimer geworfen.
Konrad musste mich gezeichnet haben, ohne dass ich es bemerkt hatte. Wieso kam dieser Mensch, eigentlich ein notorischer Langschläfer, so früh morgens ins Dorf? Warum nahm er sich die Zeit, mit einem Stift festzuhalten, wie ich auf einer halbverrotteten Bank in der Morgensonne sa� Dass er diese Skizze nicht zufällig für seine Einladung gewählt hatte, war hingegen klar: Er wollte mich wissen lassen, dass er mich beobachtete, dass er sich zumindest gelegentlich auch dann in meiner Nähe aufhielt, wenn ich nichts davon ahnte: Schau her, ich gehe deine Wege nach, ich sehe dich!
Eigentlich war ich für den Abend mit Lena verabredet gewesen. Wir wollten Kill Bill sehen, und Lena hatte sich angeboten, mich in ihrem alten Käfer nach Alsfeld ins Kino mitzunehmen. Ohne lange darüber nachzudenken, war ich nach Dienstschluss auf den Weg zu den Treibhäusern eingebogen, war an ihnen vorbeigelaufen und hatte an den Bauwagen geklopft. Wie erhofft, war Lena noch im Stall. Ich schrieb ihr eine Nachricht, schob sie unter dem Türschlitz durch und machte mich rasch vom Gelände.
Zu Hause sprang ich unter die Dusche, wusch mir die Haare, zog frische Wäsche an, flocht mir einen schlichten Zopf im Nacken. AnschlieÃend begann ich mir einen tiefschwarzen Lidstrich zu ziehen, damit ich den französischen Filmstars ähnelte, die er so mochte, bis ich aufschreckte und mir dabei das halbe Augenlid mit schwarzer Farbe zukleisterte. Mir war eingefallen, was ich am Donnerstag gedacht hatte, als ich auf der Bank vor der Bäckerei saà mit der warmen Porzellantasse in der Hand und den Strahlen der Sonne auf dem Gesicht. Ich hatte gedacht: Dies ist ein perfekter Moment!
Es hatte mich überwältigt zu begreifen, wie wenig es brauchte, um einen solchen Augenblick herzustellen â und genau das hatte er gesehen. Deshalb hatte er mich gezeichnet. Das musste am Donnerstag gewesen sein.
Ich lief zu dem Tisch, auf dem ich die Einladungskarte abgelegt hatte, klappte sie auf, schaute noch einmal genau hin: Er hatte es für mich eingefangen, mit Bleistift auf einem höchstens zehn mal fünfzehn Zentimeter groÃen Papier, aber allemal beständiger als das für die Länge von ein paar Strahlen Morgensonne und einer Tasse Kaffee andauernde Glücksgefühl. Ich hielt ihn in der Hand, den perfekten Moment, konnte ihn in die Tasche stecken, mit mir nehmen, zur steten Erinnerung, dass so etwas möglich war.
Es war eine Viertelstunde über der Zeit, als ich die Klingel zu
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