Die Liebe in Grenzen
beschloss, einfach die Nerven zu behalten und vorerst nichts Unüberlegtes zu tun. Dass er die gepackte Tasche in den Flur gestellt hatte, mochte alles Mögliche bedeuten, es war nicht an mir, das aufzuklären. Falls er gekränkt war, so war das seine Sache. Wir würden eine Form für unser Zusammensein finden, wir müssten nur darüber reden. Er konnte nicht von mir erwarten, dass ich mich sofort bei Ankunft der Ostseeurlauber vor die komplette Mühlenbelegschaft stellte und lauthals verkündete: » Hört mal her, es widerspricht zwar sämtlichen Regeln, aber Konrad und ich sind jetzt ein Paar, das wollen wir ab sofort respektiert sehen. «
Wie Kinder, ohne Gefühl für Zeit und vertieft in ihr Spiel, waren wir in den vergangenen Tagen weder bereit noch in der Lage gewesen, über das zu sprechen, was nach dem Ende der Sommerfreizeit werden sollte. Drei Wochen hatten wir in den Tag hineingelebt, ohne die auch so hinreichend zerbrechliche Gegenwart mit Fragen nach der Zukunft zu belasten. Und beim letztlich jähen Ende der Zweisamkeit hatten wir uns auch nicht vernünftiger benommen. Jeder war in eine andere Richtung geflüchtet. Das Nachher hatte begonnen, und wir hatten keinen Plan dafür.
Am nächsten Tag hatte ich frei. Ich duschte ausgiebig, saà über eine Stunde vor der Bäckerei, ohne einen Bissen von dem Butterhörnchen herunterzubringen, das ich schlieÃlich in kleinen Krümeln an die Spatzen verfütterte. Danach ging ich zurück in meine Wohnung, verbrachte den Tag mit Wäschewaschen und Putzen, hoffte, das Telefon würde klingeln und mich aus der Warteschleife holen.
Gegen sieben hielt ich es nicht mehr aus und machte einen Spaziergang. Automatisch schlug ich den Weg zum Stein ein, und schon von Weitem sah ich ihn dort sitzen. Als er mich bemerkte, schnipste er seine Zigarette weg, stand auf, um sie auszutreten, nickte mir distanziert zu. Ich überlegte, ob ich ihn umarmen sollte, aber er hatte sich in Bewegung gesetzt, bevor ich bei ihm angelangt war.
» Warte doch. Wo gehst du hin? «
» Zu mir, wolltest du nicht mitkommen? «
» Doch. «
» Na dann. «
Ohne ein klärendes Gespräch zu führen, setzten wir unsere heimlichen Treffen fort so wie vor unseren gemeinsamen Tagen, nur dass August jetzt dabei war und ich nicht mehr » Ich darf das nicht! « sagte, obwohl ich es noch manchmal dachte. Die Anwesenheit des Hundes war sowohl in Konrads Wohnung als auch bei unseren Nachtspaziergängen ein groÃer Gewinn, konnte sein Knurren uns doch vor eventuellen Begegnungen warnen. Solange er still neben uns hertrottete oder ruhig auf seinem Platz vor der Tür lag, fühlten wir uns vor einer Entdeckung sicher.
Hatte ich Dienstschluss, verlieà ich das Gelände auf dem Hauptweg durch das Eisentor, drehte aber meistens, sobald ich vom Haupthaus aus auÃer Sicht war, eine Runde um das Gelände und schlich vom Wald aus zu Konrad hinauf. An Tagen, an denen ich bereits gegen ein Uhr mit der Arbeit fertig war, wartete Konrad abends am Stein auf mich, ohne dass wir uns eigens verabreden mussten.
Die Unbekümmertheit kam uns allerdings trotz unseres Bewachers zunehmend abhanden. Immer wieder gab es im Alltag Situationen, in denen Konrad so gereizt auf mich reagierte, dass ich ihn später zur Rede stellen musste, immer öfter knallten wir aneinander. Zwar versöhnten wir uns wieder, ebenfalls mit zunehmender Heftigkeit, aber es blieb ein bitterer Nachgeschmack. Carmen ging ich aus dem Weg, soweit das möglich war, die Freundschaft mit Lena kam zum Erliegen, weil ich nach Dienstschluss keine Zeit mehr fand, mit ihr vor dem Bauwagen zu sitzen und über die klinische Psychiatrie oder die Weltlage zu debattieren. Ich fühlte mich wie eine Betrügerin, die das ihr entgegengebrachte Vertrauen nicht verdiente.
Trotz Carmens rechtlicher Bedenken und Mischas Panikattacke, als August sich allein in der Wohnung wie eine tollwütige Hyäne aufführte, durfte Konrad den Hund bei sich behalten. Dies war angeblich meiner Bemerkung zu verdanken, dass der Hund Konrad guttun würde, hatte aber zur Bedingung, dass Mischa ausreichend Gelegenheit bekam, sich an das Tier zu gewöhnen. Konrad verbrachte daraufhin ganze Nachmittage damit, Mischa mit den Reaktionsweisen des Hundes vertraut zu machen, vor allem seinen Lauten. Er legte dabei sowohl mit Mischa als auch mit August eine Geduld an den Tag, die
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