Die Liebe ist ein Daemon
habe an gestern Nacht gedacht.«
»Am Ende hat dein Plan funktioniert«, sage ich. »Ich bin nicht eingeschlafen.«
»Aber was du mir erzählt hast … erinnerst du dich daran?«
»Ja, natürlich, mehr oder weniger.«
»Und … ähm, stimmt das alles?«
Ich nicke, obwohl ich den Sinn seiner Frage nicht verstehe. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich in meinem Zustand noch in der Lage gewesen wäre, irgendetwas zu erfinden.
Er reibt sich mit der Hand über die Stirn, schließt die Augen und lächelt dabei ein bisschen melancholisch, wie ich finde.
Ich knabbere weiter schweigend an einem Kräcker.
Ich betrachte seinen Arm, den er wieder auf das Bett gestützt hat. Das Handgelenk guckt aus dem Ärmel heraus. Ich starre auf seine helle Haut, die so durchscheinend ist, dass man die sich kreuzenden Linien seiner Venen sehen kann. Da bemerke ich ein kleines Zeichen, es sieht aus wie ein Symbol oder es könnte auch ein Buchstabe sein.
»Hast du da ein Tattoo?«
Er blickt plötzlich auf sein Handgelenk, so als ob er die Tätowierung zum ersten Mal bemerken würde.
»Ja, das ist ein Tattoo«, antwortet er freiheraus. Aber sofort zieht er den Jackenärmel über das Handgelenk.
»Schön«, kommentiere ich nur. Er sieht mich überrascht an.
|119| »Ja, ja«, sagt er zerstreut.
»Es ist eine Erinnerung oder vielleicht auch eine Warnung.«
Er schweigt für einige Sekunden, während seine Hand das Handgelenk fest umschließt. Seine Worte haben mich neugierig gemacht, aber ich frage lieber nicht weiter nach. Er hat anscheinend keine Lust, das Gespräch fortzusetzen, auch wenn ich nur zu gerne wüsste, was die Tätowierung darstellt und was es damit auf sich hat.
»Tattoos sind doch nichts für Engel«, sagt er schließlich mit einer absichtlich doof klingenden, kindlichen Stimme.
»Na ja, ich bin nun mal kein klassischer Engel. Ich trage Jeans, bunte Kapuzenjacken, Armbänder und Chucks. Selbst wenn ich morgen mit einem dicken Tattoo auf der Stirn herumlaufen würde, würde ich niemandem besonders auffallen.«
»Man bleibt trotzdem immer das, was man ist«, sagt er in einem seltsam rätselhaften Tonfall.
»Oder was man nicht ist«, füge ich schneidend hinzu.
»Nun, du bist ein Engel.«
Ich ziehe die Jacke aus.
Ich lege sie auf das Bett, stehe auf, drehe ihm den Rücken zu und ziehe mein T-Shirt hoch bis zu den Schulterblättern.
»Was siehst du?«, frage ich ihn.
»Ich sehe deinen Rücken«, antwortet er leicht verlegen.
»Genau.«
Ich lasse mein T-Shirt runter, ziehe die Jacke wieder an |120| und schüttele meine verwuschelten Haare. Ich setze mich auf das Bett und warte.
»Du hast keine Flügel«, sagt er, aber so, als ob er versuchen würde, sich von einer absurden Sache zu überzeugen.
Seine unerschütterliche Gemütsruhe wird durch diese Entdeckung auf eine harte Probe gestellt. Sein Blick schwankt für einen kurzen Moment und es scheint, als würde er die richtige Formulierung für eine Frage suchen.
»Das ist halt so«, erkläre ich nüchtern. »Das ganze Gerede also über das, was man ist oder was man nicht ist … das betrifft mich nicht. Was sollte ich sein?«
Er sieht mich verwirrt an. Ich selbst bin überrascht, wie offen ich ihm alles über mich erzähle.
Die Zeit beginnt zu stocken, die Sekunden und Minuten werden länger und länger. Wir schweigen beide, aber nicht aus Verlegenheit. Es ist ein Schweigen, das die Entfernung zwischen uns ausfüllt und meine Frage in der Schwebe lässt. Ich blicke mich um. Das Zimmer ist vollgestopft mit Büchern und CDs, die sich neben offenen Umzugskartons auf dem Fußboden stapeln.
Dann sehe ich ihn wieder an. Er scheint gerade einen langen Gedankengang in seinem Kopf hin- und herzuwälzen.
Je länger ich sein Gesicht betrachte, umso mehr Facetten entdecke ich. Es ist voller Rätsel, die sich nicht so einfach aufdecken oder entschlüsseln lassen. Im Gegenteil: Je länger ich es anstarre, umso mehr habe ich das Gefühl, dass da noch irgendetwas ist, etwas, das ich einfach nicht begreifen kann. |121| Dieses Gesicht verhext mich, es macht mir Angst, aber irgendwie beruhigt es mich auch, es nimmt mich vollkommen in Beschlag, und in dem Moment, in dem ich es nicht mehr ansehe, fange ich schon an, es zu vermissen.
»Ein Engel ohne Flügel«, sagt Federico in die Stille hinein.
»Wie bitte?«
»Du hast mich gefragt, was du bist. Ich habe dir geantwortet. Das ist nicht so schwer zu verstehen.«
»Aber ein Engel muss doch Flügel haben.«
»Und
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