Die Liebe ist ein Daemon
sie zum Tode verurteilt. Meine Mutter konnte es nicht ertragen, dass ihre kleine Schwester, die sie aufgezogen hat, als ob sie ihre eigene Tochter wäre, sterben sollte. Also haben meine Eltern Noras Flucht geplant. Sie haben einen geheimen Ort gefunden, wo meine Tante mit ihrem Geliebten bleiben konnte und wo sie |296| vor ihren Verfolgern in Sicherheit gewesen wären. Aber meine Eltern und Noras Freund wurden entdeckt, eingesperrt und hingerichtet. Meiner Tante hingegen gelang zusammen mit mir die Flucht. Ich habe nur noch sie … Seitdem leben wir in der ständigen Angst, entdeckt zu werden. Aber jetzt scheinen sich die Wogen geglättet zu haben. Vielleicht haben unsere Verfolger aufgegeben oder vielleicht wurde das absolute Verbot einer Liebesbeziehung zwischen Dämonen und Menschen wieder aufgehoben oder wird jetzt weniger streng geahndet, wer weiß?« Er seufzt. »Nora hängt sehr an mir, ich bin das Einzige, was ihr noch geblieben ist. Sie hat nicht mehr viel, für das es sich zu leben lohnt. Sie hat alles verloren, ihre Schwester und ihren Geliebten, ich verstehe nur zu gut, warum sie immer so traurig ist. Wir sind hierhergekommen, weil dieser Ort sicher ist, zumindest sicher vor Dämonen. Was euch Engel angeht, so hoffe ich mal, dass wir kein Misstrauen geweckt haben.«
»Aber … wie konnte das mit Alessia passieren?«, frage ich mit dünner Stimme. Ich werde nie das Wort »Tod« oder »ermordet« mit ihrem Namen in Verbindung bringen können, ich schaffe es einfach nicht.
»Ich weiß nicht, wer oder was sie umgebracht hat … ich weiß nicht mal, ob es was mit uns zu tun hat.«
»Aber wenn er hinter euch her war … warum dann sie?«, frage ich weiter und zwinge mich, nicht daran zu denken, dass sich mit ihrem Namen ein Gesicht verbindet, das ich nie wieder sehen werde.
Er kommt wieder näher an meine Lippen, ganz ganz nah.
|297| Er ist so eiskalt und dann wieder so warm, mal süß und mal bitter, ich weiß nicht, welches Wort am besten zu ihm passen könnte. Ich glaube, gar keins. Um ihn zu beschreiben, gibt es einfach keine Worte.
Ich kann seinen Atem spüren, er vermischt sich mit meinem und …
In dem Moment klingelt mein Handy.
Es hört sicher gleich wieder auf, denke ich. Die Idee, mich von seinem Gesicht entfernen zu müssen, scheint mir fast unerträglich.
Es soll jetzt sofort aufhören!
Aber es klingelt weiter.
»Ich muss rangehen«, sage ich mit wenig Enthusiasmus.
»Ach nee …«, protestiert er schwach.
Das Klingeln stört weiter unsere Zweisamkeit.
»Okay, entweder antworte ich jetzt oder ich schmeiß das Ding weg«, murmle ich einen Millimeter von seinen Lippen entfernt. »Oh, das ist ja Ginevra …«
Ich drücke auf die grüne Taste.
»Ginni!«
»Hallo Vicky, entschuldige, wenn ich dich störe, ich weiß ja, dass du gerade bei Federico bist …«
Ihre Stimme klingt zum Glück recht gefasst.
Federico greift nach meiner Hand und bedeckt sie mit vielen kleinen Küssen.
Ich verdrehe die Augen. »Jetzt hör doch mal auf«, zische ich ihm zu, aber er macht weiter und hat einen Riesenspaß dabei.
|298| »Ich muss dich unbedingt sehen, aber ich sag’s dir besser gleich, ich habe eine Entscheidung getroffen.«
Sie klingt ausgeglichen, fast fröhlich, es ist wohl doch nichts Schlimmes. Das hoffe ich zumindest.
»Eine Entscheidung?«, wiederhole ich. Federico lässt meine Hand los und schaut mich neugierig an.
»Ja, ich fahre weg, nach London.«
Ich reiße die Augen weit auf.
»Nach London?«
Wieso denn jetzt plötzlich London, hab ich da vielleicht irgendwas verpasst?
»Ja, ich bleib dort bis zum Ende des Schuljahrs.«
»Jetzt mal langsam, Ginevra. Erzähl doch bitte von Anfang an, ich komm da nicht mehr mit.«
Ein langer tiefer Seufzer dringt durch das Handy.
»Ist es wegen Lorenzo?«, frage ich leise.
»Ja, das auch«, gibt sie zu. »Vicky, ich kann hier nicht mehr bleiben. Ich muss ihn jeden Tag in der Schule sehen und so tun, als ob nichts wäre. Ich schaff es nicht mehr. Ich kann nicht mehr auf der Straße rumlaufen, ohne mir irgendwas anmerken zu lassen. Ich schaff es einfach nicht mehr …«
Ich reibe mit den Fingern mein Ohr, so als könnte ich damit das, was ich eben gehört habe, wieder rückgängig machen. Ich hab immer gehofft, dass es nie so weit kommen würde.
»Ich halt es nicht einmal mehr bei mir zu Hause aus, nicht mal mehr in meinem Zimmer.«
Ihre Stimme zittert jetzt immer stärker.
|299| »Ich muss für einige Zeit
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