Die Liebe ist ein Daemon
fort von hier … und außerdem kann ich so mein Englisch verbessern, das hab ich echt bitter nötig.« Sie versucht es jetzt auf die lustige Tour, aber man kann ganz genau hören, wie nahe sie den Tränen ist. Auch ich bin auf dem besten Weg, gleich mitzuheulen.
»Aber … und die Schule? Was machst du mit der Schule?«
»Ich werde dort in die Schule gehen. Ich nehme an einem Austauschprogramm teil. Meine Eltern sind einverstanden. Ich hab schon eine Gastfamilie gefunden.«
Ich merke, wie sich Angst und Traurigkeit in meinem Magen zu einem Knoten zusammenballen und wie sich ein dicker Kloß in meinem Hals bildet. Ich beiße mir auf die Lippe.
Und was soll ich die ganze Zeit ohne dich machen?
Das würde ich ihr gerne sagen, aber ich wette, dass es für sie sowieso schon schwer genug ist. Dann brauche ich ihr es nicht auch noch schwerer zu machen.
»Du wirst mir so fehlen, das kannst du dir gar nicht vorstellen«, sage ich ganz ehrlich und aus tiefstem Herzen.
»Ach, auch du wirst mir schrecklich fehlen, aber ich weiß ja, dass du in guten Händen bist.«
Ich starre vor mich hin. Federico hat über meine Antworten nur einen Teil des Gesprächs verstanden, aber er hat meinen veränderten Gesichtsausdruck bemerkt und streichelt meine Hand.
»Hast du’s Lorenzo gesagt?«, frage ich plötzlich. Sie kann nicht so lange wegbleiben und ihm nichts davon erzählen.
|300| »Jetzt sag ich’s doch erst mal dir. Ich wollte mich von dir verabschieden.«
»Moment mal, wann hast du das eigentlich alles beschlossen?«
Ich verstehe es irgendwie immer noch nicht ganz.
»Vor ein paar Tagen … Ich hab schon seit einiger Zeit darüber nachgedacht und mir ein paar Infos aus dem Netz geholt. Meine Eltern haben mir dann geholfen und so konnte ich alles in kürzester Zeit organisieren.«
»Wie in kürzester Zeit? Wann fährst du denn?« Langsam werde ich nervös.
»Ich muss die Lehrer von meiner neuen Schule treffen und meine Gastfamilie kennenlernen. Dann komme ich für ein paar Tage zurück nach Hause, und wenn alles gut geht, fahre ich gleich anschließend wieder.«
»Ja okay, aber wann genau reist du ab?«
»Morgen.«
|301| SIE WIRD MIR SO FEHLEN
Am nächsten Tag in der Schule kommt mir das alles unendlich absurd vor. Es ist so komisch, dass sie nicht mehr da ist und nicht mehr wie gewohnt neben mir sitzt.
Ginevra, ich weiß nicht, ob du jetzt einfach nur kopflos davonrennst, aber glaub mir, ich verstehe dich – und ich werde immer hinter dir stehen, egal, was passiert. Ich hoffe nur, dass du in London wieder zu deinem inneren Frieden findest, der dir hier am Ende so gefehlt hat.
Ich kann die ganze Zeit nur an sie denken. Ich stelle mir vor, wie ich mit ihr spreche, so kann ich sie wenigstens ein bisschen in meiner Nähe spüren. Ich kann mir einfach noch nicht vorstellen, dass sie nie mehr durch diese Tür kommen wird und dass ich nie mehr morgens in ihre Klapperkiste steigen werde. Ich glaube, ich werde sogar den Rauch ihrer Zigaretten vermissen.
In mir kämpfen zwei starke und gegensätzliche Gefühle. Einerseits macht mich die Sache mit Federico wahnsinnig glücklich, andererseits tut mir der Abschied von Ginevra so weh. Und immerzu werde ich durch den leeren Stuhl an meiner Seite an sie erinnert.
Kurz vor der vierten Stunde gehe ich zu Lorenzo.
|302| »Lore, weißt du eigentlich, warum Ginevra heute nicht da ist?«
»Ja, sie steckt mitten in den Reisevorbereitungen«, antwortet er traurig.
»Dann hat sie’s dir also gesagt?«
Damit hat sie das einzig Richtige getan. Sie ist bis zum Schluss fair geblieben.
»Ich gehe noch zu ihr, um mich zu verabschieden«, füge ich hinzu. »Heute Abend, kurz bevor sie fährt. Und du?«
Bitte, bitte, sei kein Idiot und komm mit.
Ein langes, sehr langes Schweigen. Er sitzt mit vorgebeugtem Kopf da und guckt mich nicht an.
»Lorenzo«, frage ich noch mal. »Und du?«
»Ich glaub kaum, dass sie besonders glücklich sein wird, wenn ich kurz vor ihrer Abreise noch mal bei ihr aufkreuze.«
»Aber …«
»Ach komm schon, Vicky, sie fährt doch auch wegen mir, weil sie mich nicht mehr sehen möchte. Zumindest für eine Weile nicht mehr. Und dann soll ich zu ihr gehen und ihr eine gute Reise wünschen und einfach so tun, als ob nichts wäre?«
»Ach ja, und was ist mit dem, was du mir in der Nacht, als du plötzlich vor meiner Haustür gestanden und gesagt hast? Über deine Gefühle? Das war wohl nichts als heiße Luft?«
Er sieht jetzt sehr angespannt aus.
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