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Die Liebe ist eine Insel

Die Liebe ist eine Insel

Titel: Die Liebe ist eine Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudie Gallay
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Mondgesicht.
    Marie sieht sie kommen.
    Sie winkt ihnen zu. Jeff erwidert den Gruß, und die kleine Gruppe verschwindet im Flur.
    Marie hat drei neue Fotos zu den anderen gehängt. Jetzt sind es zwölf, und es ist immer noch Platz für weitere. Die Leute, die darauf warten, dass die Türen geöffnet werden, nähern sich, um sie zu betrachten.
    Sie hat ihre Gedankenurne auf der Bank stehen gelassen. Am späten Vormittag hat sie die Botschaften herausgenommen.
    Sie betritt den Saal. Wählt einen Platz in der vierten Reihe.
    Der Vorhang steht offen. Auf der Bühne Erde. In der Mitte ein Tisch mit einer weißen Decke.
    Die Vorstellung beginnt. Ein Mann in einem Pelzmantel steigt eine Leiter hinauf und klettert auf eine Art Felsen.
    Die Hunde kommen bellend auf die Bühne, es dauert nur ein paar Sekunden. Die Bühne ist zu klein für ein so großes Bühnenbild. Die Hunde geben ihr Bestes. Sie bellen, laufen und springen, versuchen den Mann auf der Leiter zu beißen.
    Danach bringt Jeff sie zurück.
    Marie langweilt sich.
    Die Zuschauer um sie herum ebenfalls.
    Marie lässt sich mit untergeschlagenen Beinen tief in den Sitz gleiten. Sie schließt die Augen. Die Stimmen wiegen sie. Ein langsames Eindösen, das in Schlaf übergeht.
    Klagen wecken sie auf. Sie öffnet die Augen. Die Schauspieler stehen alle auf der Bühne, sie strecken ihre Hände, ihre Arme aus, und sie klagen. Manche kriechen. Man könnte meinen, sie seien Verdammte, wollten sich berühren, sich streicheln, werden daran gehindert.
    Sie drehen sich wie Büßer, auf ihren Rücken tragen sie die Buchstaben des Wortes enfer , Hölle. Marie erschauert. Das ist die Umarmung der Toten. Sie stellt sich ihren Bruder in der Vorhölle vor, mit ausgestreckten Händen. Ebenso allein wie diese Seelen. Ebenso verdammt.
    Die Körper auf der Bühne verrenken sich noch immer. Es dauert lange. Ein schrecklicher Anblick, von dem man die Augen nicht abzuwenden vermag und der andauert.
    Marie schluckt bittere, salzige Spucke. Es ist ihr unmöglich zu applaudieren. Sie krümmt sich vor Übelkeit, steht auf. Schließt sich in die Toilette ein, ein Waschbecken, ein winziger Raum. Sie trinkt Wasser. Benetzt ihr Gesicht. An einem Nagel hängt ein Handtuch. Ein feuchter, stinkender abgewetzter Lappen. Sie riecht daran, um Brechreiz auszulösen.
    Sie übergibt sich nicht.
    Ihr Gesicht im Spiegel ist leichenblass. Sie blickt in ihre Augen.
    Eins, zwei, drei, das Kinderspiel Himmel und Hölle, am Ende der Himmel, doch auf dem Rückweg landet sie mit geschlossenen Füßen auf dem Feld Hölle. Früher spielte sie das.
    Sie geht hinaus.
    Die Sonne auf dem Platz tut ihr weh.

D ie Tür quietscht ganz leicht. Das Wohnzimmer ist leer. Marie schließt sich in ihr Zimmer ein. Sie hört die Geräusche von draußen, Lachen auf der Straße. Das Théâtre de la Condition-des-Soies ist ganz in der Nähe.
    In ihrer Tasche findet sie die neuen Zettel, die sie am Vormittag aus der Gedankenurne genommen hat.
    Sie wartet, dass es Nacht wird, um sie zu lesen.
    Eine Theatergruppe kommt nach Hause, dann eine zweite. Gedämpfte Worte in den Nachbarzimmern, Seufzer, Türen öffnen sich, sie gehen unter die Dusche.
    Dann Stille.
    An die Stelle des Gelächters treten die Geräusche des Hauses, knarrender Fußboden, ein quietschender Fensterladen.
    Im Schlaf hört sie ihren Bruder stöhnen. Sie träumt von Flüchen.
    Sie rollt sich zusammen.
    Weint salzige Tränen.
    Paul fehlt ihr, sie hat nichts, was sie an seine Stelle setzen kann.
    Sie wartet auf den Morgen.
    Sie dreht den Kopf zum Fenster. Hinter den Scheiben ist noch immer viel Nacht.
    Sie leckt ihren Arm, die Verletzungen. Leckt wie ein Tier, das sich putzt, und kratzt leicht, mit der scharfen Kante ihres Fingernagels. Zerkratzt sich dort, wo sie sich vorher bereits zerkratzt hat.

D ie Jogar geht langsam über die Bühne, bis zum Rand. Die Füße in Netzballerinas mit geschmeidiger Sohle. Sie umschlingt ihren Körper, nimmt sich selbst in die Arme. Und es ist, als hätte sie das noch nie getan. Als hätte sie am Abend zuvor nicht bereits die gleichen Gesten auf dieser Bühne gemacht.
    »Ich werde weiterleben, als wären diese Tage ein Traum gewesen. …«
    Sie hört Atmen, das Rascheln von Stoff, Beine, die sich kreuzen.
    Sie wischt eine Träne mit dem Ärmel weg. Jemand flüstert.
    »Gott, ist sie schön …«
    Die letzten Worte.
    Beifall.
    Blumen werden auf die Bühne geworfen.
    »Rote Rosen für Ihre schönen Augen!«
    Ein ganzer Strauß.
    Sie bückt

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