Die Liebe ist eine Insel
gegossen. Er muss auch die Abflüsse reinigen.
Der Fisch ist noch immer in seinem Glas.
Jeff beschließt zu gehen.
A m Abend kommen die Streikenden zurück und schlagen gegen die Türen, ein Höllenlärm, der Odon zwingt, die Vorstellung zu unterbrechen. Er geht hinaus und versucht zu diskutieren. Er spricht von Nuit rouge , von der langen Zeit, die nötig war, um dieses Stück auf die Bühne zu bringen.
»Wer seid ihr, dass ihr verhindert, einen Text zum Leben zu erwecken?«
Die Streikenden wollen sich nicht durch den Vorwurf der Gleichgültigkeit mundtot machen lassen. Odon bezeichnet sie als Scharlatane. Er sagt, Selliès sei wirklich gestorben.
Der Ton wird lauter. Die Meute drängt in den Eingangsbereich und stürmt den Saal.
Julie und die Jungs versuchen sie zu beruhigen.
Dann mischt sich Jeff ein. Wütend kommt er angelaufen und schlägt um sich. Schläge, die wehtun, im Gefängnis hat er gelernt auszuteilen. Das Ganze dauert nicht lange. Die Bullen kommen und nehmen Jeff mit aufs Revier.
Danach stehen alle draußen auf dem Platz, mit herabhängenden Armen. Der Pfarrer kommt heraus.
Damien ist angewidert. Er sagt, er werde sich von der Welt zurückziehen, Einsiedler werden und die Bank nicht mehr verlassen.
Die kleine Gruppe zerstreut sich langsam.
Odon geht in den Flur, eine dunkle, plumpe Gestalt. Julie hat seine Wut gehört, die Worte, mit denen er Nuit rouge verteidigt hat.
Sie lehnt sich an die Tür.
»Was ist das für eine Geschichte zwischen dir und Selliès?«, fragt sie.
»Es gibt keine Geschichte.«
»Kanntest du ihn?«
»Nein.«
»Warum dann?«
Er nimmt seine Jacke.
»Er hat mir vertraut.«
»Du hast ganze Schachteln voller Autoren, die dir vertraut haben.«
Er sieht seine Tochter ernst an.
»Ja, aber er hatte Talent.«
O don überquert den Platz, findet den Pfarrer in der Sakristei. Er fragt sich, inwieweit die Götter die Menschen verstehen, was sie wirklich von ihnen sehen.
Er zündet eine Kerze an, die Flamme erhellt die Wand.
»Dein Gott hat uns vergessen, Pfarrer …«
»Du solltest schlafen gehen, Odon Schnadel.«
Odon zuckt die Achseln. Reibt das Holz des Tisches mit der Hand.
»Sie haben Jeff mitgenommen!«
»Das war nur eine Schlägerei«, sagt der Pfarrer, »ein Wutausbruch, an dem die Hitze schuld ist, morgen ist er wieder draußen.«
Vor dem Betstuhl hängt ein Kruzifix. Die Nägel durchbohren die Handgelenke der Christusfigur, Blut, zerfetzte Muskeln.
Odon geht in dem zu engen Raum hin und her.
»Ich möchte wissen, was dein Gott von den Menschen erwartet.«
»Er erwartet nichts.«
»Warum hat er uns dann erschaffen? Um uns das alles ertragen zu lassen?«
»Er erträgt sehr viel mehr als wir.«
Odon kann sich nicht beruhigen.
»In deinen Messen isst du Fleisch und trinkst Blut, du betest auf Knien zu einem Typen, der sich an ein Brett hat nageln lassen!«
Der Pfarrer schiebt ihn mit der Hand weg.
»Ein Kreuz ist kein Brett …«
Er geht in die Kirche, kniet nieder und betet mit gesenkter Stirn ganz allein vor dem Kreuz in der Dunkelheit für das Heil der Lebenden.
M arie hat einen freien Tisch im Schatten der Platanen auf der Place des Châtaignes gefunden. Sie bestellt ein großes Glas Limonade.
Bevor sie ging, hat Isabelle ein Buch in ihre Tasche gesteckt. »Du musst dich gerade halten und dich außerdem bilden«, hat sie gesagt.
Giono, Regain . 9
Marie ist in die Geschichte vertieft, als Damien auf den Platz kommt. Er lässt sich auf den Stuhl ihr gegenüber fallen. Die Gendarmen hätten Jeff wieder freigelassen, erzählt er. Er blickt sich um.
»Ich muss mich um jemanden oder etwas kümmern.«
»Und Julie?«
»Julie?«
Er zuckt die Achseln.
»Ich werde mich darum kümmern.«
Es ist nichts da, auf einer Bank ein alter Mann. Auf einer anderen die Gedankenurne. Marie glaubt, dass er von dem alten Mann spricht, doch er meint die Bank, die im Schatten liegt, wenn es am heißesten ist, neben der Telefonzelle.
Eine Stunde später befestigt er Zeichnungen an den Fensterscheiben der Telefonzelle, Stücke von Girlanden, ein paar Plastikblumen, die er auf der Straße gefunden hat, und eine Puppe, der ein Arm fehlt.
Er klebt große ausgeschnittene Buchstaben auf ein Pappschild: »Ich liebe dich, Julie.« Touristen gehen vorbei und lesen das Schild. Achselzuckend gehen sie weiter.
Marie bestellt eine zweite Limonade. Setzt ihre Lektüre fort.
Von der Telefonzelle aus ruft sie ihre Mutter an. Es klingelt lange, ohne dass jemand abhebt. Sie
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